Kategorie: Prozessbeobachtung

  • 30. Juli 2025: Sitzung 21 UrteilsverkĂŒndung des vorsitzenden Richters Jochen Kötter

    Entgegen der ursprĂŒnglichen AnkĂŒndigung wurde das Urteil im Prozess gegen Daniel S. nicht wie geplant um 15:30 Uhr verkĂŒndet, sondern erst um 16:05 Uhr. Der zunĂ€chst genannte Zeitpunkt war offenbar nicht mehr haltbar. Bereits gegen 15:30 Uhr waren jedoch Schöffen auf dem Flur zu sehen, was darauf hindeutet, dass der Vorsitzende Richter die zusĂ€tzliche Zeit nutzte, um seine UrteilsbegrĂŒndung abschließend zu formulieren und seine Notizen zu ordnen.
    Um 16:05 Uhr verkĂŒndete das Gericht schließlich im Namen des Volkes das Urteil gegen den Angeklagten Daniel S.:

    Wegen mehrfachen Mordes in Tateinheit mit mehrfach versuchtem Mord, Brandstiftung, schwerer Brandstiftung sowie mehrfacher Körperverletzung wurde der Angeklagte schuldig gesprochen.
    Das Gericht verurteilte Daniel S. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Zudem stellte die Kammer die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete die anschließende Sicherungsverwahrung an.
    Im Anschluss an die strafrechtliche Entscheidung folgte die zivilrechtliche Festlegung der EntschĂ€digungszahlungen. Das Gericht sprach Schmerzensgeld, sowie Hinterbliebenenleistungen in unterschiedlicher Höhe zu: 20.000 Euro, 2.000 Euro, 15.000 Euro und 10.000 Euro. Die BetrĂ€ge sind auf Hinterbliebene der Familie Z. sowie die Familie K. aufzuteilen.Im Rahmen der AdhĂ€sionsentscheidung (Schadensersatz und EntschĂ€digung) wurde festgelegt, dass die zugesprochenen GeldbetrĂ€ge mit fĂŒnf Prozentpunkten ĂŒber dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen sind. DarĂŒber hinaus haftet der Angeklagte auch fĂŒr zukĂŒnftige materielle und immaterielle SchĂ€den, die infolge der Taten entstanden sind. Diese und weitere sogenannte AdhĂ€sionsansprĂŒche wurden vom Gericht vorlĂ€ufig festgestellt und können zu einem spĂ€teren Zeitpunkt noch erweitert oder konkretisiert werden. Abschließend wurde dem Angeklagten auferlegt, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

    Richter Kötter beginnt die UrteilsbegrĂŒndung mit dem Hinweis, dass es sich bei der verhĂ€ngten Strafe um die höchste handelt, die das deutsche Strafgesetzbuch vorsieht. Er macht deutlich, dass auch fĂŒr ihn persönlich und fĂŒr die Kammer die VerhĂ€ngung einer solchen Strafe keineswegs alltĂ€glich sei. Es handele sich nicht um einen normalen Fall, sondern um eine Ausnahmesituation, auch aus Sicht des Gerichts.

    Im weiteren Verlauf der UrteilsbegrĂŒndung kĂŒndigt Richter Kötter an, nun stichpunktartig zur Einordnung der psychischen Voraussetzungen des Angeklagten ĂŒberzugehen, zur besseren VerstĂ€ndlichkeit fĂŒr alle Anwesenden, wie er sagt. Dabei verweist er auf den psychiatrischen SachverstĂ€ndigen Prof. Dr. Faustmann, dessen EinschĂ€tzungen er mehrfach aufgreift.
    Im Mittelpunkt steht zunĂ€chst das Aufwachsen des Angeklagten. Nach Auffassung des Gerichts hat der elterliche Haushalt entscheidend dazu beigetragen, dass Daniel S. eine tiefe Entwurzelung erfahren habe. Ausgelöst durch die Trennung der Eltern und den Umzug mit der Mutter nach Mecklenburg-Vorpommern. Dieses frĂŒhe Erleben von InstabilitĂ€t und Ortswechsel habe bei ihm das GefĂŒhl stĂ€ndiger Bindungslosigkeit hinterlassen.
    Daniel S. sei frĂŒh ein EinzelgĂ€nger gewesen, so der Richter. Die Wertevermittlung im Elternhaus wird als fragwĂŒrdig beschrieben. In den Explorationen habe Daniel S. diese Lebensphase selbst als ein Dasein ohne Anschluss beschrieben, ein permanentes GefĂŒhl des Nicht-richtig-Ankommens. Ihm hĂ€tten Bezugspersonen gefehlt, auch soziale Kontakte seien nur in geringem Maße vorhanden gewesen oder hĂ€tten ganz gefehlt. In der Summe habe sich so, wie es im Gerichtssaal formuliert wird, ein sehr „blasser“ Mensch entwickelt – ein Mensch, dem grundlegende Orientierung, soziale Eingebundenheit und Wertebezug fehlten.

    Also jemand, dem es an all diesen sozialen und gesellschaftlichen BezĂŒgen fehlte, der mit diesen Werten nichts verbinden könne. Der Vorsitzende kommentiert die Entwicklung des Angeklagten mit den Worten, „es muss da doch vieles im Argen gelegen haben.“ Anschließend spricht er ĂŒber den BetĂ€ubungsmittelkonsum, der bei Daniel S. schon sehr frĂŒh begonnen habe.
    Er fĂŒhrt aus, dass Daniel S. nie in einen sozialen Kontext eingebunden gewesen sei, wie es bei einer solchen Form des Konsums sonst ĂŒblich sei. Auch bei der Beschaffung und dem Konsum der Drogen habe er nicht auf gemeinsamen Konsum innerhalb Peer-Groups oder ein gemeinsames Partyleben zurĂŒckgegriffen, sondern in stiller Einfalt allein konsumiert. Er bezeichnet ihn wortwörtlich als „Eigenbrötler“ und „Einsiedler“ und spricht resĂŒmierend von einer „unguten Mischung“.

    BezĂŒglich des Drogenkonsums fĂŒhrt der Richter aus, dass Daniel S. sich an einzelnen Stellen Hilfe gesucht habe und somit selbst erkannt haben muss, wie hoch sein Konsum gewesen sei. Zudem habe Daniel S. in einer Exploration angegeben, es fĂŒhle sich an, als habe er „zwei Betriebssysteme“ in sich. Der SachverstĂ€ndige verneinte jedoch eine Schizophrenie, die seine Freundin, die Zeugin Jessica B., erwĂ€hnt hatte und die Daniel S. ihr gegenĂŒber angeblich angesprochen habe.
    Der Amphetaminkonsum von Herrn S. sei also so ausgeprÀgt gewesen, dass er sich eigenstÀndig zu einer Therapie entschied. Allerdings habe Daniel S. sich nicht motivieren können, diese Therapie lÀnger durchzuhalten. Er verbrachte viel Zeit passiv auf der Couch und zeigte keine intrinsische Motivation sich, beispielsweise beruflich, zu betÀtigen. Die Ausbildung brach er ab und die meiste Zeit blieb er ohne BeschÀftigung.

    ZusĂ€tzlich kamen weitere Stressfaktoren hinzu. Richter Kötter erwĂ€hnt in diesem Zusammenhang die Partnerschaften des Angeklagten, die brĂŒchig gewesen seien und nicht die stabilisierende Wirkung entfaltet hĂ€tten, die in der ersten Exploration noch angenommen wurde. Auch die Ex-Freundin Luisa Maria P. habe die Persönlichkeit des Angeklagten als von geringer Motivation und innerer SchwĂ€che geprĂ€gt geschildert. Jessica B. hingegen habe eine auf den ersten Blick stabilisierende Situation dargestellt, die jedoch lediglich eine Ă€ußere Fassade gewesen sei, hinter der es innerlich ganz anders ausgesehen habe, so hatte es Dr. Faustmann ausgefĂŒhrt. Die Nebenklage habe diese Verbindung zu Jessica B. einseitig interpretiert.
    Richter Kötter Ă€ußerte, man könne nun ĂŒberlegen, welche Worte zur Beschreibung der Situation geeignet seien. Er griff das von NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız benannte „Doppelleben“ des TĂ€ters auf.
    Demnach habe sich Daniel S. seinen Problemen entzogen, sich isoliert und nicht geöffnet, was auch durch die Aussagen der Zeugin Jessica B. bestĂ€tigt wurde. Der soziale RĂŒckzug habe bereits im Jahr 2014 begonnen. Ab diesem Zeitpunkt sei der Angeklagte teilweise tagelang abwesend gewesen. Auch die Daten aus der Google-Cloud belegten seine AktivitĂ€t wĂ€hrend dieser Zeit. In Phasen des RĂŒckzugs habe Daniel S. seinen Umgang mit der Situation vor allem durch elektronische Musik gefunden.

    Weiterhin beschrieb Kötter den Angeklagten als unauffĂ€lligen Zeitgenossen mit situativ adĂ€quatem Verhalten gegenĂŒber Mitmenschen und hilfsbereiter Haltung. Er habe kurze soziale Kontakte absolvieren können und war in der Lage, mit Nachbarn zu sprechen und ihnen bei Bedarf Hilfe zu leisten. Eine dauerhafte und verlĂ€ssliche Bindung sei ihm jedoch nicht gelungen.
    Er habe, so betont Kötter, eine „sehr vernĂŒnftige Bildung“. Und spricht dann davon, dass Daniel S. „keineswegs dumm“ sei. Der Richter fĂŒhrte weiter aus, dass den Bekanntenkreis von Daniel S. ĂŒberwiegend unauffĂ€llige Kontakte prĂ€gten. Er betonte mehrfach, dass diese Kontakte, auch in Bezug auf die sogenannte „Landsmannschaft“, unauffĂ€llig gewesen seien.
    Der Begriff „Landsmannschaft“ wurde von ihm wiederholt verwendet. Ob dies ein möglicher juristischer Begriff fĂŒr Staatsangehörigkeit oder eine Umschreibung fĂŒr Menschen mit einer Migrationsgeschichte ist, blieb unklar. AuffĂ€llig war jedoch, wie hĂ€ufig er diesen Begriff in seinen AusfĂŒhrungen nutzte, wohingegen er sich auch im Verfahren erwehrt hatte, Worte wie „Rassismus“ klar zu benennen.

    Bezogen auf die Aussagen der Zeug*innen im Verfahren stellte Kötter fest, dass diese keinen gewalttĂ€tigen Psychopathen beschrieben hĂ€tten, sondern vielmehr einen Menschen, der angenehm auftrat, liebenswert wirkte und sich in belastenden Situationen zurĂŒckgezogen habe.
    Weiter fĂŒhrte er aus, dass sich der Angeklagte an manchen Tagen offensichtlich nicht wohl gefĂŒhlt habe. Im Jahr 2022 habe sich aufgrund seiner brĂŒchigen Persönlichkeit und als Selbstschutz das Bild eines instabilen Menschen weiter verdichtet. Kötter verwies darauf, dass man dies auch an Verhaltensweisen erkenne, wie sie etwa bei Personen zu beobachten seien, die sich selbst verletzen durch „ritzen“ – jedoch mit dramatischen Auswirkungen auf die Opfer. Mit dieser Art des Gleichsetzens von Selbstverletzungen und mehrfachem Mord bagatellisierte er das Verhalten von Daniel S. in Anwesenheit der Betroffenen seiner Taten und der Angehörigen der Opfer, die ihm im Rahmen der UrteilsverkĂŒndung gegenĂŒber saßen.

    Zu Beginn der UrteilsbegrĂŒndung widmete Richter Kötter also viel Zeit der oben dokumentierten Darstellung von Daniel S. als einem Menschen, der bereits frĂŒh im sozialen Umfeld benachteiligt gewesen sei und nur wenige soziale Kontakte sowie keinen wirklichen Halt gehabt habe. Anschließend verglich er die aufkommende Aggression des Angeklagten mit Verhaltensweisen, die als autoaggressiv einzustufen seien.
    Das Publikum empfand die AusfĂŒhrungen merklich als sehr unangenehm. Deutlich war eine sich langsam ausbreitende Unruhe zu spĂŒren, die sich in vermehrtem Raunen Ă€ußerte. Die Wut darĂŒber, wie der Richter seine Worte wĂ€hlte und sich ausdrĂŒckte, war im Saal spĂŒrbar.
    Nachdem Richter Kötter diesen letzten Vergleich angestellt hatte, erklĂ€rte er, dass Daniel S. in Stresssituationen versuche, die Kontrolle ĂŒber sich und sein Verhalten durch verursachten Schaden zurĂŒckzugewinnen, der ihm in diesen Momenten eine Art Abhilfe verschaffe. Die Unruhen, das Nichtschlafen und das stĂ€ndige Umherlaufen wertete er als Kompensationsmechanismen, körperliche Reaktionen auf das, was Daniel S. empfinde.
    Kötter stellte heraus, dass vor dieser Phase keine auffĂ€lligen Verhaltensweisen bekannt gewesen seien, sondern erst spĂ€ter destruktives und schwerwiegendes Verhalten bei ihm aufgetreten sei. Diese EinschĂ€tzung werde durch den psychiatrischen Gutachter Prof. Dr. Faustmann bestĂ€tigt, der ausgefĂŒhrt habe, dass Daniel S. vor allem ein Ventil gesucht habe, um Selbstwirksamkeit zu erlangen. Dabei hĂ€tten vor allem die Orte, denen er Schaden zufĂŒge, im Fokus gestanden, nicht primĂ€r die Menschen selbst.

    Vor dem ersten Brandereignis 2022 in der GrĂŒnewalderstraße lĂ€gen keine Hinweise vor, die auf vergleichbare VorfĂ€lle oder eine entsprechende Tendenz schließen ließen. Dies wird insbesondere dazu genutzt, um die im Vorfeld geĂ€ußerten Vorverurteilungen bezĂŒglich rassistischer Motive zurĂŒckzuweisen.
    Bis zu den Brandlegungen zeigten sich Anzeichen einer fortschreitenden Eskalation, vor allem in Bezug auf die psychische Verfassung von Daniel S. Hierbei wurde Herr Prof. Dr. Faustmann dafĂŒr gelobt, dass er das Bild von Daniel S. unter Einbeziehung dessen Vorgeschichte nachvollziehbar skizziert hat. Die Darstellung der Vorbereitungen zu den Brandlegungen wird als entlastend bewertet. Auch negative GefĂŒhle und der Konflikt mit der Vermieterin werden als belastende Faktoren genannt, ohne dass deren genaue Bedeutung fĂŒr die Tat analysiert wird.

    Der Richter beschreibt den von ihm so genannten „Kipppunkt“ im Jahr 2022, als Daniel S. erstmals in der GrĂŒnewalderstraße mit GrillanzĂŒndern und weiteren prĂ€parierten Mitteln einen Brandversuch unternahm. Dabei wird dargestellt, dass ab diesem Zeitpunkt eine deutliche Eskalation eingetreten sei. Das psychiatrische Gutachten von Dr. Faustmann wurde vom Gericht erneut als nachvollziehbare Grundlage herangezogen, welches aufzeigt, dass Daniel S. gezielt an einen ihm bekannten Ort zurĂŒckkehrte, den er mit negativen Erlebnissen verbindet, um dort die Brandstiftung zu begehen.
    Richter Kötter sagt, deshalb habe sich der Ort besonders dazu geeignet, den bei ihm bestehenden Überlegenheitswahn auszuleben. Die VerknĂŒpfung mit der eigenen Biografie sei laut Kötter von zentraler Bedeutung gewesen.

    Im weiteren Verlauf spricht Kötter von möglichen Stressoren, die eine Rolle gespielt haben könnten. Gleichzeitig relativiert er den Begriff und bezeichnet ihn selbst als möglicherweise euphemistisch und unangebracht. Wörtlich sagt er „Stress hört sich immer so wenig an.“ Er beschreibt die Situation als eine, in der der innere Druck habe nach außen dringen mĂŒssen, als eine Art unausweichliche Reaktion.
    BezĂŒglich der wĂ€hrend der Verhandlung aufgefĂŒhrten möglichen Motive, spricht Kötter sowohl rassistische als auch stressbedingte mögliche Ursachen an. Er bezeichnet beides als gleichermaßen „unfassbar“. Im Originalwortlaut: „Das eine oder das andere ist so oder so unfassbar.“ Er fĂŒgt hinzu „Das kann man ja gar nicht beschreiben.“
    Er geht anschließend darauf ein, dass Daniel S. grundsĂ€tzlich in der Lage gewesen sei, sein Handeln zu erkennen und die Konsequenzen einzuschĂ€tzen. Es sei ihm, so ein Zitat von Prof. Dr. Faustmann, „gar nicht um die anderen oder die vermeintlichen Opfer gegangen“, sondern „es gehe ihm um sich selbst.“ In diesem Zusammenhang zieht Kötter einen Vergleich zur StressbewĂ€ltigung anderer Menschen und sagt, dass andere „Holzhacken gehen“ wĂŒrden, eine direkte GegenĂŒberstellung zum Verhalten von Daniel S.

    Zum Ende verweist er darauf, dass einige der BrĂ€nde sich nicht so entwickelt hĂ€tten, wie es der Angeklagte geplant hatte. Im Originalzitat: „Es hat nicht so funktioniert, so wie er sich das vorgestellt hat.“
    Richter Kötter verweist darauf, dass der BrandsachverstĂ€ndige keine MilderungsgrĂŒnde gesehen habe. Zwar habe dieser nochmals auf bestimmte Aspekte hingewiesen, jedoch betont, dass Daniel S. zu keinem Zeitpunkt Anzeichen eines RĂŒcktritts vom Tatgeschehen oder vergleichbare Handlungen gezeigt habe, die auf ein Innehalten oder Umdenken hĂ€tten schließen lassen. Zudem habe der Angeklagte die GefĂ€hrdung der Bewohner erkennen und einschĂ€tzen können.
    Kötter geht in diesem Zusammenhang auf die psychischen Folgen ein, die die Taten bei vielen Betroffenen hinterlassen hĂ€tten. Diese seien, unabhĂ€ngig von der konkreten Tat, weiterhin deutlich spĂŒrbar. Die Rede ist von Mord, versuchtem Mord und besonders schwerer Brandstiftung, Delikte, die der Richter als „unfassbar“ bezeichnet. Besonders hebt er die Todesangst hervor, die in dem Notruf hörbar gewesen sei, und stellt die Frage „Was mĂŒssen die da durchgemacht haben?“ Gemeint sind dabei insbesondere die Bewohner*innen des Dachgeschosses, Familie Z. sowie die Familie K., die aus großer Höhe aus dem 3. Stock des brennenden GebĂ€udes gesprungen sei. Kötter spricht in diesem Zusammenhang von „heroischen Dingen“.

    Er hebt das Verhalten von Herrn Ö. hervor, der beim ersten Brand in der GrĂŒnewalder Straße ĂŒberlegt gehandelt habe und zunĂ€chst einen gehbehinderten Mann aus dem Haus gefĂŒhrt habe.

    Anschließend nimmt der Richter Bezug auf die AusfĂŒhrungen der NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız. Er zeigt sich kritisch gegenĂŒber ihrer hinterfragenden Haltung zur Feuerwehr und betont, dass im Jahr 2024 die EinsatzkrĂ€fte sehr schnell reagiert hĂ€tten und dass die BrandsĂ€tze, die sich 2022 unter der Kellertreppe befanden, nicht gezĂŒndet hĂ€tten und bezeichnet den Brand 2022 in dem Zusammenhang als „dilletantisch“. Im Gegensatz zu dem Brandanschlag 2024: Da brannte es „lichterloh“. Anschließend geht er auf Details der verschiedenen BrĂ€nde ein. In der Josefstraße hĂ€tten Nachbarn zum Beispiel die TĂŒr offen stehen lassen und dass 2024 Daniel S. deutlich mehr Brandbeschleuniger benutzt hĂ€tte, mit Docht und ZĂŒndschnur. Im Vorfeld hatte er Details hierzu gegoogelt, wie „Benzinkanister“ und „Explosion“.
    Den Brand in der Josefsstraße nennt er einen Nebenschauplatz. Es habe Auseinandersetzungen mit einem anderen Bewohner des Hauses gegeben, in deren Zusammenhang Daniel S. dessen Bankkarte gestohlen und rund 30.000 Euro unterschlagen habe.
    Er sagt aber, dass das nur NebenaktivitĂ€ten seien und gar nicht der Hauptfokus, um den sich hier zu kĂŒmmern sei. Er zĂ€hlt hier abermals etwas auf, was mit dem Urteil scheinbar gar nichts zu tun hat und auch im Verfahren nicht zur Debatte stand und kommentiert dies auch so. Den eventuellen Lasten der jeweilig Betroffenen nimmt Kötter sich auch in diesem Zusammenhang nicht an.

    Der Richter spricht ĂŒber die NetzaktivitĂ€ten von Daniel S., in denen sich Hinweise auf Stressfaktoren vor dem 15. Februar finden. Themen seien kriminelle AktivitĂ€ten, mit denen er sich intensiv beschĂ€ftigt habe, erkennbar an seinen Suchanfragen. Dass der erste Brand in der Josefstraße keine mediale Beachtung fand, habe er als Niederlage empfunden. Die „Katastrophe“ 2024 in der GrĂŒnewalder Straße werde er nun im Folgenden nĂ€her beschreiben.

    Der Richter fĂŒhrt aus, dass Daniel S. um 2:29 Uhr erstmals auf dem Kamerabild erscheint und sich in Richtung des Brandobjekts bewegt. Drei Minuten spĂ€ter sei zu sehen, wie er sich eine Zigarette anzĂŒndet und nochmals zurĂŒckgeht. Sieben Minuten danach kehrt er erneut zum Brandort zurĂŒck und entfernt sich dann wieder. Laut Aufnahmen sowie der Aussage der Zeugin Breuer war er bereits zwei Stunden zuvor vor Ort. Kötter beschreibt, dass Daniel S. bereits frĂŒher am Abend bzw. in der Nacht dort „umherstrich“. Ob er zu diesem Zeitpunkt bereits BrandsĂ€tze bei sich trug oder spĂ€ter weitere gelegt habe, sei unklar.

    Um 2:40 Uhr verlÀsst der TÀter laut Videoaufzeichnung den Tatort. Um 2:47 Uhr geht der erste Notruf ein, um 2:53 Uhr werden die Stadtwerke alarmiert, und um 2:55 Uhr trifft die Drehleiter als letzte Einheit am Einsatzort ein.
    Der Richter betont, dass Kritik an möglichen Fehlern legitim sei, Ă€ußert jedoch deutlich, dass die öffentliche Infragestellung der Feuerwehr durch NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız in diesem Fall nicht gerechtfertigt sei. Wörtlich sagt er, wenn sich Frau Baßay-Yıldız „dahin stellt und die Feuerwehr in Frage stellt“, sei das unangemessen. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Aussage eines Feuerwehrhauptwachtmeisters, der geschildert habe: „Dann sprangen die, dann war fĂŒr uns keine Veranlassung, die Drehleiter weiter auszufahren.“

    Kötter hebt hervor, dass Baßay-Yıldız als Opfervertreterin zwar parteiisch sein dĂŒrfe, jedoch sei es in diesem Moment unangemessen gewesen, zu diskutieren, warum die Feuerwehr nicht frĂŒher ausgerĂŒckt sei. Er sagt: „Auch wenn ich da jetzt einen Shitstorm kriege, das wĂŒrde ich beanstanden.“ Der Richter verweist erneut auf die Aussage des Feuerwehrhauptmanns, der diesen Einsatz als den schlimmsten seiner 25 Dienstjahre bezeichnete. Bei jemandem, „von dem man zu Recht erwartet, dass er einiges gesehen hat“. Das Erlebte habe die EinsatzkrĂ€fte stark mitgenommen, etwa der Flammenschlag aus den Fenstern und das Bild, das sich ihnen beim Eintreffen bot, „als schon praktisch nichts mehr zu machen war“.

    Er geht nochmals auf die Kritik von Basay-Yildiz ein und lobt im Gegensatz dazu Herrn Bona fĂŒr seinen Umgang mit dieser. Bona habe die Kritik „einfach weggesteckt“, obwohl sie ihn hĂ€tte treffen können. Dabei bezieht er sich darauf, dass Baßay-Yıldız Bezug auf den Kommentar von Staatsanwalt Bona genommen hat „durch verschlossene TĂŒren hĂ€tte womöglich Schlimmeres verhindert werden können.“ Die TĂŒröffnung habe es „natĂŒrlich schwerer gemacht, die Familien noch retten zu können“. Hier kritisierte Baßay-Yıldız im Vorfeld stark die Verschiebung der Verantwortung und darin enthaltene TĂ€ter-Opfer-Umkehr. Dazu sagt Kötter in Bezug auf die Aussage von Staatsanwalt Bona: „Das war natĂŒrlich ĂŒberhaupt gar kein Vorwurf, das kann ich auch verstehen, dass man das analysiert.“ Er fĂŒgt hinzu, auch er selbst sei „nicht ganz richtig zitiert worden“ und habe das „nicht ganz fair“ gefunden. Auch ihm hĂ€tten die Maßregelungen durch Baßay-Yıldız zugesetzt. Dies habe keine besonnene VerhandlungsatmosphĂ€re gefördert, vielmehr sei es zu „demonstrationsartigen VerhĂ€ltnissen“ im Sitzungssaal gekommen.
    Er lobt die Anwesenden, insbesondere die Opfer und Angehörigen, fĂŒr ihre Selbstbeherrschung im Kontrast zur GefĂŒhllosigkeit des TĂ€ters: „Bewundernswert, wie Sie das hier schaffen.“
    Er spricht auch nochmal – und hier zitiert er den Verteidiger – von der hohen Verantwortung, die auch unter dem Eindruck vom Brandanschlag in Solingen 1993 im Gerichtssaal zu spĂŒren gewesen wĂ€re.

    Kritik weist Kötter dort zurĂŒck, wo etwa Baßay-Yıldız den Staatsanwalt als „menschenverachtend“ bezeichnet habe. Solche Äußerungen gingen seiner Ansicht nach „weit ĂŒber das Ziel hinaus“. An die Familie Zhilov gerichtet sagt er: „Wir (die Kammer) haben uns das nicht leicht gemacht.“
    Er geht nochmals auf den Zeugen ein, der zu Protokoll gegeben hatte, er habe „gesehen, wie da einer gebrannt hat“. Kötter betont, dies sei laut Ortsbegehung und Aussagen des BrandsachverstĂ€ndigen so nicht möglich gewesen. Die Aussagen des Zeugen seien zudem uneinheitlich gewesen. Seit der Rekonstruktion mĂŒsse klar sein, dass dieser lediglich Feuer gesehen habe.

    In erschĂŒtternder Detailliertheit beschreibt Kötter, wie die Familie Zhilov zu Tode gekommen sein muss. Er geht auf den Anruf um 2:45 Uhr ein: „Bruder, Bruder, wir verbrennen hier“ und erklĂ€rt, dass die Todesursache eine Rauchgasvergiftung gewesen sei, die dem Verbrennen der Körper zeitlich vorausging. Es sei eine große Menge giftiger Rauch eingeatmet worden. Dies hĂ€tten auch die rechtsmedizinischen Untersuchungen der Leichen ergeben. Weitere Verletzungen seien nicht todesursĂ€chlich gewesen. Er stellt fest, dass alle Opfer von Daniel S. psychisch fĂŒr ihr Leben gezeichnet seien. Die psychische Dimension sei kaum vorstellbar. Mit Blick auf den GeschĂ€digten Herr K. sagt Kötter, dessen Zustand habe sich zwar inzwischen zum GlĂŒck gebessert, aber zwischenzeitlich „hörte sich das ja gar nicht so vielversprechend an“. Was Familie K. und andere durchleiden mĂŒssten, sei kaum in Worte zu fassen.

    Dann wendet sich Kötter an RenĂ© S., der im Sitzungssaal anwesend ist. Er erinnert daran, dass RenĂ© S. und der TĂ€ter frĂŒher befreundet gewesen seien. In diesem Moment schauen sich die beiden an.
    Zur Tat an RenĂ© S. sagt er, es mĂŒsse bei Daniel S. eine emotionale Aufladung gegeben haben, als dieser unvermittelt auf ihn einschlug, ihn mit einem Spray und anschließend mit einer Machete attackierte. Dies seien gezielte VerschleierungsbemĂŒhungen gewesen. Eine Bagatellisierung auch dieser Tat von Daniel S.
    An RenĂ© S. gewandt sagt Kötter, dieser sehe heute schon erstaunlich viel besser aus, wenn man dessen SchĂ€delfrakturen und Verletzungen noch vor Augen habe und sagt, das war ja ein Wunder, der SchĂ€delknochen war abgesprungen und teilweise skalpiert. Das sei, Zitat: „schon hinterhĂ€ltig, wenn einen der beste Freund hinterhĂ€ltig angreift“.

    Kötter hĂ€lt kurz inne und reflektiert: „Vielleicht sollte ich es anders machen und bei den Dingen bleiben, die das Urteil herbeifĂŒhren.“ So korrigiert auch er sich im Sprechen, sagt aber dennoch die Dinge, die er nicht sagen will.

    Er fĂŒhrt aus, dass die Tat aus dem Jahr 2024 zwar fĂŒr sich genommen monströs gewesen sei, die vorhergehenden Taten aber schon fĂŒr ein lebenslanges Strafmaß ausgereicht hĂ€tten: FĂŒr die Tat 2022 – 9 Jahre, fĂŒr die Josefstraße – 6 Jahre, fĂŒr die Tat gegen RenĂ© S. – nochmals 9 Jahre. Zusammengenommen hĂ€tte dies ohnehin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe gefĂŒhrt. Mit der Tat in der GrĂŒnewalder Straße sei die Schwelle fĂŒr lebenslĂ€nglich, insbesondere mit besonderer Schwere der Schuld in der Vielzahl von Getöteten und GeschĂ€digten, weit ĂŒberschritten. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung wĂŒrde ja auch klar darauf hindeuten, dass Daniel S. „fĂŒr sehr lange Zeit nicht mehr frei“ kommen werde.

    Er fragt rhetorisch: „Ich weiß nicht, ob ich mich da jetzt noch weiter in Details versteigen soll.“ Es ginge hier schließlich um lebenslĂ€nglich mit besonderer Schwere der Schuld und Sicherheitsverwahrung. Kötter geht nochmals auf das GestĂ€ndnis von Daniel S. ein und darauf, dass dieser sich schließlich doch einer psychologischen Exploration unterzogen habe, obwohl er dies zunĂ€chst abgelehnt hatte. Ob das den Opfern helfe, bleibe fraglich. Prof. Dr. Faustmann habe in drei GesprĂ€chen jedoch Erkenntnisse ĂŒber Daniel S. gewonnen, denen er sich freiwillig gestellt habe.
    Kötter beschreibt Daniel S. als apathisch und regungslos, jetzt, wĂ€hrend der gesamten Verhandlungstage und wĂ€hrend der UrteilsverkĂŒndung. Dennoch bezeichnet er es als besondere Leistung, dass Daniel S. sich eingelassen und ausgesagt habe. Denn das Anrecht auf Wahrheit der Opfer wĂŒrde dem Schweigerecht, das ein Angeklagter in diesem Moment habe, widersprechen. Die GeschĂ€digten könnten letztlich froh sein, dass Daniel S. sich zu diesem Schritt entschlossen habe. Nun gebe es ein Gesicht: „Sie wissen jetzt: Das ist der, der dafĂŒr verantwortlich ist.“

    Dann spricht er die Frage an, ob es sich bei Daniel S. um einen rechtsradikal motivierten TĂ€ter handelt. Dabei stellt er klar, Seda Baßay-Yıldız habe mit ihren Forderungen nach weiteren Ermittlungen richtig gehandelt. Sie habe berechtigt auf die Interessen der Opfer verwiesen und auch ihre Interviews in der Presse seien â€žĂŒberhaupt gar kein Problem“. Problematisch sei allerdings der von ihr erhobene Vorwurf der Vertuschung.
    Kötter argumentiert: Im Gegenteil, der Rechtsstaat habe hier funktioniert. Die Polizei habe Fehler gemacht, die Staatsanwaltschaft habe diese nicht verschleiert, die Nebenklage habe sie benannt, die Kammer habe sie aufgenommen. Dann sei die Notwendigkeit entstanden, diese Ermittlungen nachzuholen. Dass zunĂ€chst mit zu wenig Personal gearbeitet wurde, sei ein gesonderter Punkt. Er sagt wörtlich: „Dann war der Skandal geboren.“ Und weiter: „Alles, was da war, ist ausgewertet worden. Die Polizei hat sozusagen gebĂŒĂŸt.“ Er betont: „Wir haben uns immer bemĂŒht, sodass wir uns jetzt auch nicht so fĂŒhlen mĂŒssen, dass wir nicht alles getan hĂ€tten.“
    Er verweist auf § 202 StPO (Beweiserhebung) und sagt, alle erforderlichen Maßnahmen seien ergriffen worden. Der Aufwand sei enorm gewesen und der Umfang, der darin noch zu „tuenden Maßnahmen“ unterschĂ€tzt worden. In bestimmten Bereichen sei „herausragend ermittelt“ worden. Teils hĂ€tten Beamt*innen ĂŒber 100 Stunden gearbeitet, auch an Wochenenden.

    Kötter wendet sich gegen die Interpretation von Baßay-Yıldız und betont, dass ein rechtsradikales Motiv klar nachgewiesen werden mĂŒsse, um es als solches zu benennen. Die Konflikte mit auslĂ€ndischen Nachbarn, etwa mit Herrn H. aus der Normannenstraße, seien laut Prozessverlauf eher Nachbarschaftsstreitigkeiten gewesen. Baßay-Yıldız habe in ihrem PlĂ€doyer davon gesprochen, dass sie selbst in ihrer geschĂŒtzten Welt lebten, wo so etwas nicht passiere. Er sagt dazu: Auch Daniel S. habe in einem Haus mit hoher DiversitĂ€t der Anwohnerschaft gelebt.
    Er wirft der Nebenklage vor, an einigen Stellen nicht ganz korrekt zitiert zu haben. Es habe lediglich eine Suchanfrage bei Compact gegeben, keine tiefergehenden Recherchen. Zur Löschung der rechtsradikalen Inhalte auf einer Festplatte sagt er, diese habe bereits vor der Sicherung stattgefunden, es gebe keine Anzeichen, dass der TĂ€ter versucht habe, die Daten vorher wiederherzustellen. Daraus etwas abzuleiten, sei „sehr weit gegriffen“.
    Er geht nochmals auf den Vergleich ein mit Hanau, der ursprĂŒnglich von Baßay-Yıldız angefĂŒhrt wurde. Auch dort habe man dem TĂ€ter zunĂ€chst keine rechtsextremen AktivitĂ€ten nachweisen können, „dann hat man ihn auf links gedreht, und dann hat man gesehen, wes Geistes Kind der ist, wie er sich radikalisiert habe“. Bei Daniel S. sei das ausdrĂŒcklich nicht der Fall gewesen.
    Zum Brand in der Normannenstraße sagt er, dass nach menschlichem Ermessen kein anderer TĂ€ter in Frage komme. Daniel S. habe hierzu allerdings nichts gesagt. Kötter rĂ€t ihm: „Nutzen Sie Ihre Zeit sinnvoll.“ Er reflektiert nochmals die Exploration durch Prof. Dr. Faustmann und wirft die Frage auf, ob die Idee, dass dort Menschen sterben fĂŒr die eigene Selbstaufwertung, notwendig gewesen sei. DarĂŒber könne man jetzt nur spekulieren.

    Zum AdhĂ€sionsverfahren (Schadensersatz und EntschĂ€digung) sagt er, dieses habe vor allem symbolischen Wert: „Wenn man da jetzt noch ein bisschen Geld kriegt.“
    Abschließend wendet er sich erneut an Daniel S.: Man werde ihn in der JVA jetzt „genau unter die Lupe nehmen, auch was die Psyche betrifft“. Er ginge davon aus, dass Herr Bona dies bereits veranlasst habe.

    Zum Schluss spricht Kötter sich fĂŒr einen fairen Umgang im Gericht aus, auch wenn man nicht immer einer Meinung sei. Den Opfern und Angehörigen wĂŒnscht er: „Alles Gute, sofern das möglich ist.“

    Damit endet seine UrteilsbegrĂŒndung und die gesamte Verhandlung.

  • 30. Juli 2025: Sitzung 21 AbschlussplĂ€doyers von Seda Baßay-Yıldız(Nebenklagevertreterin von Ayse und Nihat Kostadinchev), Marc Françoise (Pflichtverteidiger von Daniel S.), Jochen Ohliger (Wahlverteidiger von Daniel S.), Daniel S. und UrteilsverkĂŒndung

    PlĂ€doyer von NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız

    Wenn Seda Baßay-Yıldız abends zu ihrem Kind fĂ€hrt, denke sie an die Familie Zhilov – daran, dass diese das nie wieder tun kann. WĂ€hrend alle anderen nach dem Prozess in ihren Alltag zurĂŒckkehrten, bliebe fĂŒr die Überlebenden und Angehörigen alles unwiederbringlich zerstört. Baßay-Yıldız schildert, was ihren Mandant*innen, Ayse und Nihat Kostadinchev, in der Tatnacht wiederfahren ist. Sie ĂŒberlebten mit ihrem damals sieben Monate alten Sohn Salih nur knapp. Weil keine Hilfe kam, mussten sie sich aus dem dritten Stock eines brennenden Hauses durch einen Sprung aus dem Fenster retten. Nihat Kostadinchev sprang mit dem Baby auf ein Auto. Alle drei ĂŒberlebten schwer verletzt.

    Nihat Kostadinchev erlitt lebensbedrohliche Verletzungen und musste wochenlang kĂŒnstlich beatmet werden. „Er hĂ€tte sterben können.“ Seine rechte Schulter ist bis heute unbeweglich, seinen Beruf als Dachdecker kann er nicht mehr ausĂŒben. Ayse Kostadincheva erlitt Verbrennungen an neun Prozent der KörperoberflĂ€che, auch sie wurde wochenlang in einer Spezialklinik behandelt. Selbst das Baby kam mit Brandverletzungen ins Krankenhaus. Neben den körperlichen Narben bleibe das psychische Trauma: Der Sprung ins Ungewisse, mit dem Wissen, dass sie nur knapp ĂŒberlebt haben.

    Die Familie Zhilovi war erst am 3. Februar 2024 nach Deutschland gekommen – mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. Katya und die Kinder waren Kancho gefolgt, nachdem er in Solingen Arbeit gefunden hatte. Laut den Eltern waren es „so liebenswerte und gute Menschen“, voller Lebensfreude, schildert Baßay-Yıldız. Sie wollten ein drittes Kind – nach zwei Töchtern sollte es ein Junge werden. Deutschland war fĂŒr sie ein „perfektes Land“. Ein Neubeginn, voller Möglichkeiten. Die RealitĂ€t sei zu einem Albtraum geworden. Baßay-Yıldız erinnert daran, dass solche Taten nicht im Umfeld von Gericht, Staatsanwaltschaft oder Verteidigung geschehen. „Unsere HĂ€user werden nicht in Brand gesteckt. Deutschland sei eines der sichersten LĂ€nder der Welt – „aber nicht fĂŒr jeden.“

    Auch das Leben der Hinterbliebenen sei zerstört worden. Niemand wolle sich vorstellen, was es heißt, tagelang auf Nachricht von den eigenen Kindern und Enkelkindern zu warten – um dann vom grausamen Tod zu erfahren. Zeugen hĂ€tten berichtet, wie die Menschen im Dachgeschoss um ihr Leben schrien. Einer habe dabei geweint: „Er hört die Schreie immer noch.“ Was Katya und Kancho in diesen Minuten gefĂŒhlt haben mĂŒssen, wĂ€hrend ihre Kinder starben und niemand zur Hilfe kam, sei unvorstellbar. Der Tod sei nicht schnell, sondern schmerzhaft gewesen. Die Feuerwehrstation war nur eine Minute entfernt – und doch konnte sie niemanden retten.

    Die Frage, warum der Einsatz so lange dauerte, sei berechtigt gewesen, betont Baßay-Yıldız. Der Einsatzleiter der Feuerwehr sei vom Gericht in Schutz genommen worden, als diese Frage aufkam. Dabei habe die Feuerwehr kein einziges Leben retten können. Alle Überlebenden retteten sich selbst. Die Familie Zhilov starb, die Familie Kostadinchev sei gesprungen. Die Angehörigen hĂ€tten ein Recht darauf, dass auch unbequeme Fragen gestellt werden. „Sie haben alles verloren. Und sie haben ein Recht auf Antworten.“

    Am ersten Verhandlungstag am 21. Januar 2025 wandte sich der Vorsitzende Richter Kötter laut Baßay-Yıldız an die Angehörigen – mit der Bitte, ruhig zu bleiben und den Ablauf nicht zu stören. Sie kritisiert das scharf: Die Angehörigen seien aus Bulgarien angereist, nachdem sie ihre Kinder und Enkelkinder auf brutalste Weise verloren hatten – und das Erste, was sie hören, sei eine ermahnende Maßregelung, „ohne einen einzigen Grund“. Dabei hĂ€tten sich die Familien bis heute vorbildlich verhalten.

    Die MĂŒtter haben leise geweint, um den Ablauf der Verhandlung nicht zu stören. Die VĂ€ter schauten den Angeklagten stumm an, um etwas zu verstehen, das nicht zu begreifen ist. Niemand könne diesen Schmerz nachempfinden. Dennoch seien die Familien respektvoll geblieben.
    „HĂ€tten Sie das in anderen Verfahren genauso gemacht, Herr Vorsitzender?“, fragt Baßay-Yıldız.

    Sie erinnert an eine StaatsanwĂ€ltin in einem frĂŒheren Verfahren, die sagte, ihr Ziel sei es, den Opfern und Angehörigen Gehör und Gerechtigkeit zu verschaffen. Hier aber sei jeder Antrag der Nebenklage zurĂŒckgewiesen worden. Laut ihrer Kollegin Frau Groß-Bölting, die sie im 20. Prozesstermin vertreten hatte, habe die Staatsanwaltschaft in ihrem PlĂ€doyer geĂ€ußert, wenn die Opfer nicht selbst die TĂŒren geöffnet hĂ€tten, wĂ€re vielleicht Rettung möglich gewesen. Baßay-Yıldız nennt das zynisch: „Na wunderbar. Selbst schuld also.“ Und fĂŒgt hinzu: „Menschenverachtender geht es nicht.“

    Das Wort „Gerechtigkeit“ prange auf den T-Shirts der Angehörigen – „Adalet“. Vor Gericht, sagt sie, bekomme man vielleicht Recht – aber keine Gerechtigkeit. Die gebe es in keinem Land der Welt.
    „Gerecht wĂ€re es, wenn man den Familien ihre Kinder und Enkelkinder zurĂŒckgeben könnte.“ Das könne niemand. Aber was möglich sei, sei AufklĂ€rung. Das sei das Mindeste – in einem Rechtsstaat.
    Deutschland sei ein Land, in dem man andere LĂ€nder kritisiere, wenn sie Urteile nicht respektieren. Ein Land mit unabhĂ€ngigen Medien – aber das sei kein SelbstlĂ€ufer. Der Rechtsstaat mĂŒsse immer wieder verteidigt werden: „gegen Populisten, gegen Extremisten“. Er sei fĂŒr alle da – auch fĂŒr die, die ihn ablehnen.

    Und ja, auch der Angeklagte habe Anspruch auf ein faires Verfahren. Doch das gelte ebenso fĂŒr die Opfer. Es gehe hier nicht nur um strafrechtliche Verantwortung, sondern um Menschenleben und rechtsstaatliche Prinzipien. Was sie als Nebenklage in diesem Verfahren getan hat, sei eigentlich selbstverstĂ€ndlich gewesen: sorgfĂ€ltig arbeiten, Akten lesen, den Sachverhalt aufklĂ€ren – insbesondere, wenn es um Menschenleben geht. Doch was hier geschehen sei, lasse sich damit nicht vergleichen. Die polizeilichen Ermittlungen seien von der Staatsanwaltschaft öffentlich gelobt worden, wĂ€hrend kritische Medienberichte als einseitig abgetan wurden. Dabei spreche der Verlauf der Ermittlungen eine andere Sprache.

    Baßay-Yıldız hebt hervor, dass sie in anderen Verfahren die Arbeit der Ermittler durchaus anerkannt habe – sogar dann, wenn sie letztlich zu keinem Ergebnis gefĂŒhrt hĂ€tten. Doch in diesem Fall sei die Arbeit der Ermittlungsbehörden „weit davon entfernt“ gewesen, rechtsstaatlichen MaßstĂ€ben zu genĂŒgen. „Das, was hier passiert ist, darf sich nicht wiederholen“, betont sie. Es gehe um die Grundfesten eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

    Sie rekonstruiert nun die ersten Schritte nach der Festnahme des Angeklagten am 8. April 2024. An drei Tagen wurde das Wohnhaus durchsucht – einschließlich der Garage, des Kellers und einer leerstehenden Wohnung im zweiten Obergeschoss. In dieser Wohnung fanden sich leere Tabakboxen der Sorte, die auch bei den BrandanschlĂ€gen verwendet worden waren. Dennoch wurden keine DNA-Spuren oder FingerabdrĂŒcke gesichert – und die Boxen nicht sichergestellt. Politisch einschlĂ€giges Material wurde zwar aufgefunden, aber auf den zur Akte gereichten Fotos fehlte es. Jemand hatte wohl entschieden, diese Beweise nicht zu dokumentieren.

    Am 10. April 2024, nur zwei Tage nach der Festnahme, hĂ€tten der PolizeiprĂ€sident Röhrl und der zustĂ€ndige Staatsanwalt öffentlich erklĂ€rt, es gebe „kein rassistisches Motiv“. Zu diesem Zeitpunkt seien die Durchsuchungen noch nicht abgeschlossen gewesen. Dass man sich so frĂŒh festlegte, sei schwer nachvollziehbar. Auch erwĂ€hnte niemand, dass in dem Haus unter anderem Hitlers „Mein Kampf“ gefunden worden war. Eine ErklĂ€rung, diese BĂŒcher seien dem Vater des Angeklagten zuzuordnen, sei ausgeblieben und die Information ganz weggelassen.

    Diese Fotos mit eindeutig rechtsextremen Inhalten wurden laut Baßay-Yıldız erst auf Druck der Nebenklage – und fast ein Jahr spĂ€ter – zur Akte genommen. Dass das Urteil ursprĂŒnglich bereits fĂŒr den 14. MĂ€rz 2025 angesetzt war, mache das besonders brisant. In der Garage befand sich zudem ein an die Wand geheftetes Plakat mit dem sog. „Lied eines Asylbewerbers“, das laut Baßay-Yıldız den Tatbestand der Volksverhetzung erfĂŒllt. Auch davon existieren Fotos – allerdings ohne Nahaufnahme, sodass der Text unleserlich bleibe.

    Ein polizeilicher Vermerk vom April 2024, der vom Innenministerium ĂŒber eine andere Polizeibehörde mehrfach an die Staatsanwaltschaft Wuppertal ĂŒbermittelt wurde, wurde ebenfalls zurĂŒckgehalten. Erst auf wiederholte Nachfrage wurde er schließlich ans Gericht weitergeleitet. In diesem Vermerk war ursprĂŒnglich vermerkt worden, dass es sich um eine rassistische Tat handle, dass eine „tiefe Verbundenheit mit rechtem Gedankengut“ vorliege und dass das gefundene Material dem Angeklagten und seinem Vater zuzuordnen sei. Diese Passagen wurden handschriftlich durchgestrichen – von Ermittler*innen, die, wie Baßay-Yıldız betont, selbst nicht vor Ort gewesen seien.

    Trotz Unterschrift durch zwei hochrangige Mitarbeitende wurde behauptet, der*die Beamt*in, die die Einstufung als rechts durchgefĂŒhrt hatte, habe „keine Ahnung“ und ihre EinschĂ€tzung nicht glaubwĂŒrdig. Das Ministerium habe sogar angeboten, das LKA NRW – Abteilung Staatsschutz und TerrorismusbekĂ€mpfung – zur UnterstĂŒtzung hinzuzuziehen. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal habe aber alles abgelehnt.

    Sechs Monate nach der Tat habe die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Als Motiv wurde ein Jahre zurĂŒckliegender Streit mit einer frĂŒheren Vermieterin angefĂŒhrt – einer Frau, die nicht einmal in dem betroffenen Haus in der GrĂŒnewalder Straße lebte. Obwohl die Motivlage nach eigener Aussage „unklar“ sei und zahlreiche digitale DatentrĂ€ger beim Angeklagten gefunden wurden, unterließ man deren Auswertung. Weder wurden die Handyclouds noch andere Speicherinhalte systematisch untersucht. FĂŒr Basay-Yildiz ein gravierendes VersĂ€umnis: „Ich habe noch nie erlebt, dass bei einem solchen Tatgeschehen keine DatentrĂ€ger ausgewertet werden.“

    Auch Nachbar*innen wurden nicht befragt. Eine Nachbarin meldete sich ein Jahr spĂ€ter von sich aus bei der Polizei – vorher hatte sich niemand fĂŒr ihre Beobachtungen interessiert. Erst als die Nebenklage auf entsprechende Hinweise gedrĂ€ngt habe, nahm das Gericht die Auswertung der DatentrĂ€ger vor. Dabei fanden sich zahlreiche antisemitische, rassistische und rechtsextreme Inhalte. Dennoch stellte sich die Staatsanwaltschaft gegen eine weitere Inaugenscheinnahme – trotz der zunĂ€chst unklaren Motivlage.

    Ein besonders belastender Fund: 166 Bilder mit menschenverachtendem Inhalt, gespeichert auf einer Festplatte, die der LebensgefĂ€hrtin des Angeklagten gehöre. Diese habe aber erklĂ€rt, sich weder an die Bilder noch an deren Herkunft erinnern zu können. Der angebliche Bekannte, der sie aufgespielt haben soll, habe sich ebenfalls an nichts Konkretes erinnern können – weder an die Bilder noch an den genauen Kontakt. Dass die Festplatte an das DJ-Pult des Angeklagten angeschlossen war, blieb unbeachtet.

    Baßay-Yıldız sagt: „Also die Hitler-BĂŒcher gehören dem Vater. Die 166 Bilder sind auf einer Festplatte der LebensgefĂ€hrtin. Und der Angeklagte hatte mit nichts davon etwas zu tun“, fasst Basay-Yildiz ironisch zusammen. Besonders kritisch sei auch, dass die Behörden keine Meldung ĂŒber den kleinen Waffenschein des Vaters machten, dem ja die NS-Devotionalien gehören sollten – trotz öffentlicher Debatte um die Entwaffnung von Rechtsextremen.

    Ein zentraler Punkt der Nebenklage: Ein frĂŒherer Brandanschlag in der Normannenstraße in Wuppertal am 5. Januar 2022, bei dem Menschen ĂŒber die Drehleiter gerettet werden mussten. Erst durch Recherchen der Nebenklage sei bekannt geworden, dass die damalige LebensgefĂ€hrtin des Angeklagten dort wohnte – ebenso wie ein marokkanischer Nachbar, mit dem es laut Zeugen mehrfach Streit gab.

    Auch hier sei die polizeiliche Aufarbeitung mangelhaft gewesen. Die Akte umfasse gerade einmal 20 Seiten, davon 12 mit Fotos. Keine der betroffenen Personen sei vernommen worden, es gĂ€be keine Ermittlungen zu etwaigen Krankenhausaufenthalten, keinen BrandsachverstĂ€ndigen, keine Spurensicherung. Das Verfahren sei nach einem Monat eingestellt worden – angeblich Kabelbrand.

    Ein nachtrĂ€glich eingeholter Gutachter habe selbst 3 Jahre spĂ€ter binnen wenigen Minuten jedoch festgestellt, dass keinerlei Hinweise auf einen Kabelbrand vorlagen – sehr wohl aber auf eine vorsĂ€tzliche Brandstiftung. „Wie viel ist Ihnen ein Menschenleben wert?“, fragt Baßay-Yıldız. HĂ€tten die Behörden damals sorgfĂ€ltig gearbeitet, so ihre Überzeugung, wĂ€re der Angeklagte lĂ€ngst in Haft gewesen – und die Opfer von Solingen wĂŒrden noch leben.

    Baßay-Yıldız betont, dass man die strukturellen Probleme in der Bewertung rechter Gewalt nicht ignorieren dĂŒrfe. Die TĂ€ter von heute trĂŒgen keine Bomberjacken mehr, liefen nicht mit Springerstiefeln durch die Straßen. Es seien keine auffĂ€lligen Neonazis – sondern MĂ€nner, die sich gewĂ€hlt ausdrĂŒcken, höflich grĂŒĂŸen und dennoch tief in rassistische oder antisemitische Ideologien verstrickt sind. Diese Normalisierung sei gefĂ€hrlich.

    Das Gericht habe wĂ€hrend der Beweisaufnahme vor allem gefragt, ob der Angeklagte je an einer extremistischen Demonstration teilgenommen oder durch radikale AktivitĂ€ten aufgefallen sei. Doch Baßay-Yıldız verweist auf andere bekannte FĂ€lle: Der AttentĂ€ter von Hanau war nie durch rechtsextreme AktivitĂ€ten aufgefallen. Auch der AttentĂ€ter von Halle nicht, ebenso wenig der TĂ€ter des rassistischen Anschlags im MĂŒnchner Olympia-Einkaufszentrum. Sie alle hatten kein Vorstrafenregister im Bereich politischer KriminalitĂ€t – und dennoch töteten sie aus rassistischen Motiven.

    Die rechtliche Bewertung solcher Taten berĂŒcksichtige lĂ€ngst, dass TĂ€ter mehrere Motive gleichzeitig haben könnten – etwa persönliche Frustration in Verbindung mit rassistischer Ideologie. In der Praxis zeige sich: Gerade TĂ€ter ohne Ă€ußere RadikalitĂ€t seien oft besonders gefĂ€hrlich, weil sie unterschĂ€tzt wĂŒrden.

    Baßay-Yıldız kritisiert, dass die Beurteilung der politischen Dimension der Tat in diesem Verfahren dem Staatsschutz Wuppertal ĂŒberlassen wurde – jener Dienststelle, die Fotos mit rechtsextremem Material nicht zur Akte nahm, relevante Vermerke manipulierte und entlastende Narrative stĂŒtzte. Sie zitiert exemplarisch KHK Böttcher vom Staatsschutz, der auf einen Chat des Angeklagten vom 30. Dezember 2021 angesprochen wurde, in dem dieser von „Kanaken“ schrieb. Böttcher habe dies relativiert: „Ich gehöre einer Generation an, wo wir den Begriff Kanake benutzt haben, und deswegen sind wir nicht gleich rechts.“

    Auch die Auswertung der gefundenen 166 rechtsextremen Bilder auf der Festplatte wurde verharmlost. Böttcher erklĂ€rte, solche Inhalte hĂ€tte „jeder SiebtklĂ€ssler“ auf dem Handy – daraus könne man keine Gesinnung ableiten. Dabei habe der Angeklagte auch einschlĂ€gige Seiten besucht, etwa das rechtsextreme Medium Compact TV, wo er unter anderem ein Musikvideo mit dem Titel „Deutschland den Deutschen – AuslĂ€nder raus“ ansah. Dennoch wurde auch dieses Verhalten von Böttcher nicht als Beleg fĂŒr eine politische Haltung gewertet.

    Ein Wehrmachtslied von 1940, das der Angeklagte auf YouTube aufgerufen hatte, habe Böttcher als „zeitgemĂ€ĂŸen Schlager“ bewertet. Auch das Lied „Erika“, komponiert von einem NSDAP-Mitglied, sei laut seiner EinschĂ€tzung ein „normales Volkslied“. Weitere NS-Marschlieder, die der Angeklagte anhörte, zeigten laut Böttcher lediglich „geschichtliches Interesse“. Sogar ein wiederholtes Anhören des erwĂ€hnten Liedes mit rassistischem Inhalt – „Deutschland den Deutschen“ – reiche nicht aus, um ideologische NĂ€he zum Rechtsextremismus festzustellen.

    Die Google-Suchen des Angeklagten, darunter „Adolf Hitler Briefmarke“ oder „Baranowitschi“ – ein Ort, an dem 9.000 JĂŒdinnen und Juden ermordet wurden – seien ebenfalls nicht weiter berĂŒcksichtigt worden. Böttcher habe wiederholt erklĂ€rt, es handle sich um „sporadisches Interesse“, das nicht auf eine gefestigte rechte Gesinnung schließen lasse.

    Baßay-Yıldız widerspricht deutlich: In anderen Verfahren – etwa gegen Islamisten – werde solche HĂ€ufung einschlĂ€giger Inhalte völlig anders bewertet. Niemand kĂ€me dort auf die Idee, einen IS-nahen Telegramkanal als harmloses Interesse an Nahost-Politik zu deuten. „Warum ruft jemand solche Inhalte immer und immer wieder auf?“, fragt sie. Und sie stellt die Frage, welche Art von Expertise im Staatsschutz Wuppertal vorhanden sei, wenn solche Relativierungen die Norm darstellten. „Was fĂŒr Leute arbeiten hier beim Staatsschutz?“ Die Bewertung rechter Inhalte durch diese Ermittlungsstelle sei weder objektiv noch sachkundig erfolgt – ein unabhĂ€ngiger Blick, etwa durch das LKA NRW, sei verweigert worden.

    Sie wĂŒrdigt, dass das Gericht immerhin einige Auswertungen veranlasst habe – rechtlich sei es sogar dazu verpflichtet. Aber dass es keine sachverstĂ€ndige Stellungnahme zu den digitalen Funden einholte, sei aus Sicht der Nebenklage ein schweres VersĂ€umnis. In Staatsschutzverfahren zu islamistischen Taten sei es ĂŒblich, Gutachter wie Dr. Steinberg hinzuzuziehen, die politische Ideologien und Radikalisierungsprozesse einordnen könnten.

    Die Bundesgerichtshof-Rechtsprechung sei in dieser Frage eindeutig: Wenn verschiedene Motive denkbar sind, mĂŒsse das Tatgericht sie alle in die WĂŒrdigung einbeziehen. „Kommen bei der PrĂŒfung der niedrigen BeweggrĂŒnde verschiedene möglicherweise zusammenwirkende Motive des TĂ€ters in Betracht (MotivbĂŒndel), hat das Tatgericht sĂ€mtliche Elemente in seine WĂŒrdigung einzubeziehen“, zitiert sie sinngemĂ€ĂŸ.

    FĂŒr Basay-Yildiz ist das rassistische Motiv offensichtlich – gerade in Kombination mit den anderen Faktoren:

    • Alle Getöteten und Verletzten hatten einen Migrationshintergrund.
    • Es gab einen frĂŒheren Brandanschlag auf das Haus eines marokkanischen Nachbarn.
    • Auch mit italienischen Nachbarn gab es Streitigkeiten.
    • Die digitale Auswertung ergab massives Interesse an rassistischer und antisemitischer Propaganda.

    „Wer immer und immer wieder auf rechtsextremen Portalen ‚Deutschland den Deutschen – AuslĂ€nder raus‘ hört, tut das nicht aus Zufall.“

    Zudem kritisiert sie die GlaubwĂŒrdigkeit der Aussagen von Frau Breuer und der frĂŒheren LebensgefĂ€hrtin des Angeklagten. Beide bestritten, dass der Angeklagte eine politische Haltung gehabt habe. Doch aus Sicht der Nebenklage sei klar: Er habe ein Doppelleben gefĂŒhrt. „Beide Frauen hĂ€tten dem Angeklagten niemals zugetraut, Menschen zu töten.“ Und dennoch stehe er heute wegen vierfachen Mordes vor Gericht.

    Breuer schreibe ihm aus der Untersuchungshaft Briefe, in denen es kein Wort des MitgefĂŒhls fĂŒr die Opfer gebe – dafĂŒr aber Zusicherungen ewiger LoyalitĂ€t. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen fehle vollstĂ€ndig. „Auf diese Aussagen kann man nun wirklich gar nichts geben“, so Baßay-Yıldız. Der Angeklagte sei laut Gutachten Prof. Faustmanns „kaltherzig und gefĂ€hrlich“. Ihre Schlussfolgerung: „Er gehört fĂŒr immer weggesperrt.“ Er habe sogar danach gegoogelt, wie man eine Bombe baue. Was wĂ€re als NĂ€chstes gekommen?

    Zum Schluss betont Baßay-Yıldız, dass sie keine weiteren AntrĂ€ge stelle – aber das Gericht dennoch dringend auffordere, sich zu fragen, ob es nicht zumindest eine Stellungnahme des LKA-Staatsschutzes zur politischen Einordnung der Tat brauche. Sollte das Gericht ein rassistisches Motiv verneinen, mĂŒsse es dafĂŒr tragfĂ€hige GrĂŒnde liefern. Ansonsten schließt sich die Nebenklage der Forderung der Staatsanwaltschaft an: lebenslange Freiheitsstrafe und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.

    PlÀdoyer des Pflichtverteidigers Marc Françoise

    Die Verteidigung beginnt ihre PlĂ€doyers damit, dass der erste Verteidiger sagt, man habe sich das PlĂ€doyer aufgeteilt, woraufhin er auf die einzelnen Taten eingeht, beginnt mit dem Branden der GrĂŒnewalder Straße 2024. Generell wird gesagt, dass man sich der Staatsanwaltschaft tatbestandsmĂ€ĂŸig anschließen wĂŒrde. Die Mordmerkmale, die dort genannt wurden, seien gegeben und es gĂ€be keine Anhaltspunkte fĂŒr eine SchuldunfĂ€higkeit. So wird von einer GemeingefĂ€hrlichkeit und dem Tötungsvorsatz gesprochen. Noch einmal ausdrĂŒcklich gesagt, dass der Tötungsvorsatz auch gegeben war. Der BrandsachverstĂ€ndige wird zitiert, dass durch die Brandlegung im Flur der Fluchtweg verschlossen war.

    Auch in der Verteidigung denke man, dass von Daniel S. Tote billigend in Kauf genommen wurden. Hier ist also der Eventualvorsatz gegeben. Hier möchte der erste Verteidiger in ErgĂ€nzung zum Staatsanwalt noch einmal klar machen, dass dieser Eventualvorsatz auch wegen der vorherigen am ebenfalls in dem Haus in der GrĂŒnewalder Straße geschehenen versuchten Brandstiftung gegeben ist. Auch Françoise kommt dazu, dass der Beschuldigte vollumfĂ€nglich schuldfĂ€hig ist und nach der Betrachtung aller wesentlichen Taten und StĂ€nde sich der Staatsanwaltschaft anzuschließen wĂ€re.

    Er sagt: „So kann man das so und so betrachten, was mögliche MinderungsgrĂŒnde betrĂ€fe“. Der zweite Brand, den er betrachtet, ist der Brand in der GrĂŒnewalder Straße von 2022. Auch hier zitiert er den BrandsachverstĂ€ndigen. Auch hier rĂ€umt er den Tötungsvorsatz ein. Und auch hier bestĂ€tigt er die vollumfĂ€ngliche SchuldfĂ€higkeit des Angeklagten. Die Brandlegung in der Josefstraße geht er Ă€hnlich an. Auch hier zitiert er den BrandsachverstĂ€ndigen und weist auf die GefĂ€hrdung, auch fĂŒr ein sich Ausbreiten des Feuers auf die Umgebung an, wie auf der GrĂŒnewalder Straße. Generell sagt er, die Bedingungen wĂ€ren Ă€hnlich gegeben wie auf der GrĂŒnewalder Straße. Da zwei bis drei Liter Vergaserkraftstoff genutzt wurden.

    Zuletzt geht er auf den Machetenangriff auf RenĂ© S. ein und plĂ€diert hier dafĂŒr, es als versuchten Totschlag zu verurteilen und nicht als versuchten Mord. Woraufhin er auf den Ablauf der Tat eingeht. Die SchlĂ€ge der Machete hĂ€tten lebensbedrohliche Verletzungen hinzugefĂŒgt. Es sei aber spĂ€testens mit dem zweiten Schlag nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass das Opfer arglos gewesen sei. Das bloße Ablassen vom Opfer, wie es geschehen ist, reiche nicht als Wertung eines RĂŒcktritts von der Tat aus. Allerdings gibt er zu bedenken, dass das Motiv der HeimtĂŒcke hier vielleicht nicht gegeben sei, da eben zum Zeitpunkt der Bedrohung das Opfer nicht mehr arglos gewesen ist, wie oben schon zitiert. Nach dem Einsatz des Pfeffersprays sei es zu einer ZĂ€sur gekommen, bevor die MachetenschlĂ€ge einsetzten. Der TĂ€ter habe das Spray falschherum gehalten und sich somit selbst getroffen. Deshalb habe er einen Moment gebraucht, um die Machete aus seinem Rucksack zu holen und dadurch sei es zu einer Zeitverzögerung gekommen ist. Und spĂ€testens in diesem Moment habe keine situative Unbedarftheit des Opfers mehr geherrscht. Dass RenĂ© S. den Angriff als anlasslos und „aus dem Nichts“ beschrieben hat, stĂŒnde dem entgegen. Er sagt zum Schluss, die Strafe dafĂŒr steht im Gesetzbogen: „da brauchen wir nicht darum herumreden.“ Die besondere Schwere der Schuld sieht er auch gegeben und das Maß, um diese zu bewerten, sei schon deutlich ĂŒberschritten. „Jetzt kann man groß und breit darĂŒber diskutieren, wie der Angeklagte zu den Taten steht“, aber „die Schwere ist aber erwiesen und belastend“.

    Dann geht er auf das Gutachten von Dr. Faustmann an und sagt, nachdem er AusfĂŒhrungen aus diesem zitiert hat, das höre sich zunĂ€chst einmal philosophisch an. Aber der Angeklagte habe die Straftaten begangen, um andere zu erniedrigen und dadurch seinen eigenen Selbstwert zu erhöhen. Anhaltspunkte fĂŒr eine Spezialisierung auf einen bestimmten Typ destruktiven Verhaltens, nĂ€mlich den der Brandstiftung, seien gegeben. Deswegen stufe auch er den TĂ€ter als gemeingefĂ€hrlich ein: „davon mĂŒssen wir hier auch ausgehen und diese Feststellung akzeptieren“. Ein weiteres Motiv fĂŒr die Tat verneine der TĂ€ter.

    Hier sagt der Verteidiger, „es gibt eben viele Möglichkeiten der Radikalisierung“. Und dann fĂŒhrt er aus, dass es eben diese Rechtsradikalen gĂ€be, die mit Springerstiefeln durch die Straße liefen. Und dann gĂ€be es noch die innere Radikalisierung, die Baßay-Yıldız erwĂ€hnt hatte. Er sagt, „das wĂ€re das Einzige, was bei Daniel S. in Betracht kommt“. Aber eine Radikalisierung wĂŒrde, so sagt er, mit einem ĂŒber die Zeit sich steigernden Interesse und einer sich steigernden Auseinandersetzung mit „rechtsradikalem Material“ einhergehen. Es wĂŒrde einer langsamen Steigerung folgend und irgendwann in eine so intensive BeschĂ€ftigung mĂŒnden „dass man es ĂŒbernimmt“. Dabei verweist er auf die Aussagen des psychiatrischen Gutachters Prof. Faustmann.

    Aus Alltags- und Lebensbeziehungen gĂ€be es keine Anhaltspunkte fĂŒr eine „stille Radikalisierung“. Dabei bezieht er sich auf die Aussagen der LebensgefĂ€hrtin des TĂ€ters. Dann geht er auf die Doppelleben-These der NebenklageanwĂ€ltin ein und sagt, wenn dem so gewesen wĂ€re, dann hĂ€tte er nicht, wie Baßay-Yıldız gesagt hĂ€tte, die Festplatte seiner Freundin fĂŒr seine rechten Materialien genutzt, wenn er dieses Doppelleben hĂ€tte aufrechterhalten wollen. (*Anmerkung: Hier stellt sich natĂŒrlich die Frage, inwiefern Waffen, etliche Benzinkanister und Materialien fĂŒr BrandsĂ€tze im gemeinsamen Keller nicht ohnehin eine Art von Doppelleben darstellen, die bei diesen AusfĂŒhrungen gĂ€nzlich außer Acht gelassen werden.)

    Dann geht er auf Daten im Handy bzw. auf der Festplatte ein und sagt, das sei alles ausgewertet worden. Er sagt „Es gab hier schlicht und ergreifend nichts zu finden“.  Herr Professor Faustmann habe bestĂ€tigt, dass es eben nichts gewesen sei, was ihn davon ĂŒberzeugt hĂ€tte, dass Daniel S. sich hier radikalisiert hĂ€tte. Es hĂ€tte also keine innere Radikalisierung stattgefunden: „das ist so.“ „Handlungsleitend ist schlicht und ergreifend die eigene Selbststabilisierung.“ Und Daniel S. habe keinen Wert darauf gelegt, woher die Opfer kamen.

    Zum Verfahren:

    Jetzt geht er nochmal auf den Brandanschlag in Solingen 1993 ein und sagt, dass auch die NebenklageanwĂ€lte sich darauf bezogen haben. Und dass zu Beginn des Prozesses der Nebenklagevertreter Zingal gesagt hĂ€tte, dass der Brandanschlag einer der BeweggrĂŒnde gewesen wĂ€re, die ihn damals dazu gefĂŒhrt hĂ€tten, Jura zu studieren. Er spricht ĂŒber Solingen und sagt, „das hat damals was mit unserer Stadt gemacht“ und „die BĂŒrger unserer Stadt sind sehr sensibilisiert“ und deshalb hĂ€tte es ein berechtigtes, deutlich erhöhtes Interesse der AufklĂ€rung gegeben und das habe dann auch dazu gefĂŒhrt, dass das „Engagement ĂŒber ein normales hinausgeht“. Er spricht dann von einem „Umgang mit solchen Katastrophen“ und sagt „wir tragen besondere Verantwortung“. Er spricht mehrmals aus, dass es mehr als in anderen Verfahren eine hohe Aufmerksamkeit und eine hohe Verantwortung gĂ€be. Alle hĂ€tten ein Recht darauf, dass das Verfahren fair und konstruktiv gefĂŒhrt wĂŒrde. Und dass der Verlauf des Verfahrens bis hin zum Urteil transparent nachvollzogen werden könne. Es gĂ€be ein Recht auf lĂŒckenlose AufklĂ€rung.

    Es sei aber kein „normales Verfahren gewesen“ und durch Baßay-Yıldızs „Engagement“ seien die Ermittler gezwungen worden, erheblichen Aufwand zu betreiben. Er spricht ĂŒber Baßay-Yıldızs Engagement und sagt, das meine er ausdrĂŒcklich nicht despektierlich. SpĂ€testens nach diesem „Tritt in den Hintern“, sei es bei der Polizei um „AufklĂ€rung, AufklĂ€rung, AufklĂ€rung“ gegangen – egal, um was es sich handle. Der Verdacht, der auch begrĂŒndet gewesen wĂ€re, hĂ€tte sich nicht bestĂ€tigt. SpĂ€testens nach diesem „Tritt“ sei klar gewesen, dass es nichts zu vertuschen gegeben habe.

    „Letztendlich haben Datenauswertungen und Zeugenaussagen ergeben, dass es da nichts gibt.“ Er merkt an, dass es ihn „persönlich“ störte, „wenn wir hier eine Zeugin haben, die erst mit der Presse spricht“. Und dann sagt, „Ja ich habe mit der Presse gesprochen, aber das habe ich gar nicht gesagt.“ (*Anmerkung: Hier ist festzustellen, dass Françoise bewusst oder unbewusst unterschiedliche Aussagen der Zeugin in Eins wirft. Die Nachbarin hatte nicht etwa in Bezug auf den Presseartikel zu Protokoll gegeben, falsch zitiert worden zu sein, sondern bei ihrer polizeilichen Aussage, bei der ein Staatsschutzbeamter den Satz frei hinzugefĂŒgt habe, sie denke, der TĂ€ter sei krank. Siehe den Bericht zur Sitzung des 25.7.25: https://adaletsolingen.org/2025/07/26/25-juli-2025-sitzung-19/)

    Des weiterenkritisiert er Baßay-Yıldız im Umgang mit den Ergebnissen der Ermittlungen, beispielsweise den Antrag, dass die Polizei Wuppertal die Ermittlungen zum Fall an eine unabhĂ€ngige Dienststelle abgeben solle. Er bezieht sich kritisch auf eine antifaschistische Demonstration in der Wuppertaler-Normannenstraße am vergangenen Samstag – worauf genau, wird allerdings aus seinen AusfĂŒhrungen nicht deutlich. Weiter sagt er „Da werden 14.000 AktivitĂ€ten ĂŒber einen Zeitraum von zehn Jahren ausgewertet.“ und fĂŒhrt aus, das mĂŒsse man sich gerade mal bei der AfD vor Augen halten. (*Anmerkung: Hier meint er, dass man eine Google-Suche nach der AfD bei den Auswertungen von Daniel S. Online-AktivitĂ€ten entdeckt hat.) „jeder Vierte Vollidiot hat die AfD gewĂ€hlt“, das sprĂ€che dafĂŒr, dass es viele gĂ€be, die sich fĂŒr sie interessieren: „Wenn man dann davon ausgeht, dass jeder, der bei der AfD mal anklickt, ein Rechtsradikaler ist, dann haben wir hier bald 40 Millionen Rechtsradikale.“ Er sagt auch, jeder der, „sich den ganzen Mist bei denen auf der Webseite mal angucken möchte“, kann ja nicht ein Nazi sein. Er geht auf die Ermittlungsbehörden ein und die Betrachtung, wie sie durch die Nebenklage gefĂŒhrt wurde, und spricht wortwörtlich von einer Fantasie, was TĂ€terschaft und Motiv betrifft, der TĂŒr und Tor geöffnet worden sei. „Ich könnte jetzt ĂŒberspitzt sagen, da mache ich mir die Welt, wie sie mir gefĂ€llt.“ In Richtung der Kammer lobt er die „Gelassenheit der Kammer“ und drĂŒckt aus, dass zu Beginn des Prozesses durchaus offen herangegangen wĂ€re. Richter Kötter habe wortwörtlich gesagt hĂ€tte, „Wir schauen mal, wir wollen hier alle Beweise auf dem Tisch haben und nehmen uns die Zeit, das auch zu tun“, was eben geschehen sei, inklusive der Vernehmung weiterer Zeug*innen fĂŒr die man seitens der Kammer offen gewesen sei.

    Und zu Recht sei eine Vielzahl von Anhaltspunkten fĂŒr eine rechte Motivation genannt, aber nichts von dem sei unmittelbar, sondern nur mittelbar auf den Angeklagten zurĂŒckzufĂŒhren. Er spricht noch einmal vom Gutachten des Professor Dr. Faustmann und seiner „eindrucksvollen Darlegung“. Er sagt, dass es „nicht den geringsten begrĂŒndeten Zweifel“ gĂ€be. „Was bei dem Ganzen völlig aus dem Blick geraten ist“ sei das GestĂ€ndnis von Daniel S., das dieser im „vollen Bewusstsein darĂŒber, lebenslang zu bekommen“ abgelegt habe, weil er Klarheit schaffen wollte, weil er Verantwortung ĂŒbernehmen wolle.

    „Was wĂ€re denn gewesen, wenn er das nicht getan hĂ€tte“, das sei fĂŒr die Angehörigen doch furchtbar gewesen. Dann wĂ€ren stĂ€ndig „Bekloppte gekommen“ und hĂ€tten „hier und da noch was gefunden“. Er endet: „Wenn er tatsĂ€chlich fremdenfeindlich gehandelt hĂ€tte, warum hĂ€tte er das nicht auch zu geben sollen.“ und ĂŒbergibt an den Wahlverteidiger von Daniel S.

    PlÀdoyer des Wahlverteidigers Jochen Ohliger

    „Rechts sein oder nicht sein“ mit diesem Zitat beginnt der gebĂŒrtige Solinger Jochen Ohliger sein PlĂ€doyer. Im PlĂ€doyer der Nebenklagevertreter*innen habe man viel Richtiges gehört, was bereits den Medien zugespielt worden sei. Er spricht von einer gezielten „Kampagne“ und es sei zu einseitig „die Nummer gewĂ€hlt worden: Das ist ein rechtes Ferkel und das hat der nur gemacht, weil er fremdenfeindlich ist.“ Und weiter: „Wir richten ĂŒber alle möglichen Bösen aber am Ende nicht ĂŒber den Mandanten.“ Ohliger sagt weiter, dass die Kritik an Ermittlungen fĂŒr den Verteidiger fĂŒr gewöhnlich angenehm sei, dieses Mal sei es aber „erstklassig unangenehm“ gewesen.

    Er spricht auch davon, dass er jetzt eine „Medienschelte“ austeilen wĂŒrde. Und geht dann mit großen und vielen Worten darauf ein, dass er geschaut hĂ€tte, heute Morgen noch einmal, was auf der Banderole vor dem Gerichtssaal stehen wĂŒrde, wessen Namen da eigentlich erwĂ€hnt wĂ€ren. Ob da auf einmal die Staatsanwaltschaft, der Staatsschutz, die Polizei oder sonst wer angegeben wĂ€ren. Und sagt dann: Nein, da steht der Mandant, da steht also der Name seines Mandanten und sonst niemand, sonst sĂ€ĂŸe hier niemand auf der Anklagebank.

    Dann kommt er „zu dem Punkt der Ermittlungsschelte“. Es sei „erstklassig unangenehm“ gewesen, dass nicht gut bzw. nicht von Anfang an gut ermittelt worden sei. Zwar lobte er ĂŒberschwĂ€nglich die Arbeit der Polizei, die Daniel S. anhand von Videoaufzeichnungen mit schlechter QualitĂ€t identifizieren konnte, doch er fĂŒhrte ironisch aus, dass in dem weiteren Vorgehen „auf dem Weg zum Kriminalistik-Preis Deutschland in Gold“ doch einiges verloren gegangen wĂ€re.

    Das, was Staatsanwalt Bona in seinem PlĂ€doyer „Arbeitsfehler“ genannt hĂ€tte, bezeichne er als „Schlamperei“. Und Baßay-Yıldız habe hier eine Intrige gesponnen. Über seinen Mandanten sagt er, dass sich im Gerichtsverfahren zunĂ€chst herauskristallisiert habe, „aber eigentlich ist das doch ein ganz netter Bursche“. Eine Hetzkampagne sei losgegangen und in der Gruppe der Beschuldigten, „hĂ€tte doch eigentlich nur der Herr Reul gefehlt“. Die Arbeit der Polizei oder der polizeilichen Ermittlungen bezeichnet er zunĂ€chst auch als „Schlamperei“. Und bevor man sich jetzt nun selbst auf die Schulter klopfe, kann man schon sagen, dass Baßay-Yıldız in dem Moment richtig gehandelt hĂ€tte als sie diese Schlamperei moniert hatte. „Bis hierhin, HĂ€nde schĂŒtteln, bravo.“ „Ein großes Bravo an die Polizei“: Aber „so richtig gebracht haben diese Nachermittlungen nichts. Und selbst wenn das damals gemacht worden wĂ€re, wĂ€re das Ergebnis trotzdem kein anderes.“

    Er stellt noch mal die Frage: „rechts, ja oder nein?“ und sagt, bezogen auf Materialien mit „rechten Komponenten“, in dem Fall die rechtsextremen Holocaust-Memes, die auf einer Festplatte gefunden worden waren,: „Ich bin Anwalt auf dem Dorf und diese Bilder tauchen, so mies sie auch sind, tatsĂ€chlich auf jedem Schulhof auf.“ Er sagt, dass diese Memes und rechten Bilder, wie sie gefunden worden seien, auch bei SiebtklĂ€sslern auftauchten. Er zieht dann den Vergleich zu Kinderpornografie, denn auch bei Schulkindern fĂ€nde man schon kinderpornografisches Material. Und auch diesen wĂŒrde nicht unterstellt, dass diese Kinderpornografen seien. Er spricht von einem „Motto“ im Sinne von „Gebranntes Kind scheut das Feuer“. (*Anmerkung: An dieser Stelle können wir nicht anders, als Ohligers Statement als rhetorische Totalausfall zu bezeichnen. Insbesondere in Wortauswahl und -symbolik mit Blick darauf, dass es sich bei dem Fall um einen Brandanschlag (!) handelt, bei dem zwei Kinder und ihre Eltern ermordet wurden, vor deren Angehörigen und Überlebenden er spricht, ist Ohligers PlĂ€doyer nichts als eine pietĂ€tlose Zumutung.)

    Er spricht ĂŒber einer „nebenherlaufende PR-Aktion, mit der Maßgabe, wir sensibilisieren jetzt mal alle dafĂŒr, dass es im Solingen nach 1993 immer noch rechte Ferkel gibt“. Und spricht davon, dass, „wenn nicht jetzt, wann dann, ein Urteil gesprochen wĂ€re, in dem Fall der Frau mit den fĂŒnf toten Kindern, im vollen Strafmaß.“ Er bezieht dieses „wenn nicht jetzt, wann dann“ darauf, dass es in diesem Prozess gefallen sei. Und sagt, dass man es hier auch anwenden könnte. Und sagt dann: „Okay, hier waren es nur zwei tote Kinder – um es mal pervers zu sagen“.

    Des Weiteren kommt es nun zu einer TĂ€ter-Opfer-Umkehr: Er sagt, Daniel S. könne man jetzt „weil er etwas so Schlimmes getan hat“ als „potenzielles Opfer“ einer Hetze nehmen. Hier könne jetzt „alles Eklige auf ihm abgeladen werden“. Und weiter „dann hat er verdammt nochmal das Recht dazu, dass sie feststellen, dass er nicht rechts ist.“ Hier spricht er von einem „Nazi Bohei“.

    Danach geht er auf das Wort Kanacke ein. (*Anmerkung: Daniel S. hatte in einer Chat-Nachricht an Silvester 2023/2024 seiner LebensgefĂ€hrtin Jessica B. geschrieben, er hoffe, dass sich die „K*******“ mit Pollenböllern wegsprengen) Er sagt dazu, „Wenn man das Wort Kanacke googelt, ist das gar nicht so falsch“ Wenn man das mal googelt, finde man heraus, dass es in den 70er, 80er Jahren komplett gebrĂ€uchlich war und er es damals auch verwendet habe. Heute sei man erst dafĂŒr sensibilisiert. Das sei zu einer Zeit gewesen „Da durfte man auch noch Sarotti-Mohr sagen“. Er geht nochmal auf die Meme-Bilder ein und sagt, dass die Anzahl dieser im „Promille-Bereich“ gewesen sei.

    Ohliger behauptet, dass andere Bilder nicht ausgewertet wurden, weil es nicht zu den Überlegungen passte. Auch ĂŒber andere Indizien, die etwas anderes hĂ€tten nahelegen können, sei von Baßay-Yıldız „drĂŒber gehuddelt“ worden. Da es nicht in das Narrativ passe, seinen Mandanten hier als „rechtes Schwein“ zu bezeichnen. Im Folgenden geht er auf die Musiknutzung oder das Musiknutzungsverhalten des Angeklagten ein. Und sagt, dass die Benutzung der nachgewiesenen Musik völlig unproblematisch sei. Er spricht hier von Mumpitz. Er sagt, dass der „Schlager Erika“ völlig unbedenklich wĂ€re. Und auch die andere Musik keine Bedenken hervorrufe. Die Bilder seien „widerlich keine Frage“ aber „die dem [TĂ€ter] zuordnen geht einfach nicht“. HĂ€ufiger setzt er an, weitere AusfĂŒhrungen zu machen. Beziehungsweise sagt, dass der erste Verteidiger sich nicht an die Absprachen gehalten und das meiste schon gesagt habe. Gleichzeitig geht er dann aber wieder doch auf bestimmte Dinge ein, die er allerdings nur anreißt.

    Er sagt im Folgenden, er könne sich jetzt auslassen zur Kleidung und zu Alpha Industries. Es gĂ€be ein Fotos, auf dem Daniel S. mit einem Pullover der Marke Alpha Industries zu sehen sei. Das Foto liege nicht in Farbe vor, wenn es Farbe vorlĂ€ge, könne man aus Ohligers Sicht erkennen, dass man die Regenbogen-Farben im Pullover erkenne. Dazu sagt er: „Gerade die Queeren sind ja bekannt fĂŒr Rechtsradikales“. Und macht sich dann noch darĂŒber lustig, dass gerade die „Regenbogen-Gemeinde“, so wie er sagt, „ja ĂŒberhaupt nichts Rechtes“ habe. Ironisierend sagt er in Bezug auf seine Unterstellung, Baßay-Yıldız drehe sich Indizien so wie sie in ihre Argumentation passte: „die rechte Gemeinde habe ja eine Regenbogenflagge“. Nun geht er auf die Aussage des marokkanischen Nachbarn, des Angeklagten, beziehungsweise dessen Partnerin ein. „Ruma oder wie der hieß. Der hin und wieder mit einem Messer auf dem Flur steht.“ [*Anmerkung: Der Zeuge O. hat einen arabischen Nachnamen. Die Behauptung, er habe mit dem Messer vor dessen TĂŒr gestanden stammt von Daniel S. Der Zeuge hat dies bei seiner Prozessaussage bestritten.] Dieser habe zu Protokoll gegeben, Daniel S. habe ihn mit „Leck mich am Arsch“ beschimpft. Ohliger sagt zu diesem „Leck mich am Arsch“, „das ist ja wohl mal ein rassistischer Ausdruck“, was er ironisch meint. Und sagt dann, „Hier hĂ€tte man ja wohl mal gut, du Kanacke, sagen können“ und meint damit seinen Mandanten Daniel S.

    Dann spricht er ĂŒber die sogenannte Reichspogromnacht vom 9. November. [*Anmerkung: Daniel S. hat den ersten Brandanschlag in der GrĂŒnewalderstraße am 9. November 2022 verĂŒbt, was Baßay-Yıldız als Indiz fĂŒr eine mögliche rechte Gesinnung gesehen hatte, da es in der rechten Szene nicht unĂŒblich ist, sich auf nationalsozialistische Jahrestage zu beziehen] Ohliger sagt, dass dieses als Motiv „völlig an den Haaren herbeigezogen“ wĂ€re. Ironisierend in Bezug auf Daniel S. und den Vorwurf rechter Gesinnung: „wir haben da einen, dem kann man das zur Last legen.“ Das sei ein Klassiker einer Situation, in der man jemanden hĂ€tte „der sich nicht mehr wehren kann“, um dem dann „richtig einen reinzuwĂŒrgen.“ Er sagt des Weiteren, wenn dem denn so gewesen wĂ€re, dass der 9.11. gezielt als Tatzeitpunkt ausgewĂ€hlt worden wĂ€re „Aufgrund dieser rassistischen Implikationen, dieser nationalsozialistisch-ideologischen Implikationen“, „dann hĂ€tte der TĂ€ter ja auch warten können bis zum 28.05.“ um das Haus anzuzĂŒnden. Und sagt das mit den Worten „am 28.05., da hĂ€tte man ja wunderbar das Haus anzĂŒnden können.“ Womit er sich auf den Brandanschlag 1993 bezieht.

    Dann geht er darauf ein, dass der Vater des Angeklagten zu einem Zeitpunkt, als „das hier alles noch nicht zur Debatte stand, die Beamten in die Wohnung lĂ€sst und darauf verweist, offen und öffentlich, dass es sich hier um seine Wohnung handelt“. Ohliger geht dann darauf ein, dass in dieser Wohnung besagte BĂŒcher gefunden worden wĂ€ren. Und sagt dann, „der reine Besitz von diesen SchmĂ€hschriften ist straflos“. Die Argumentation, man sei hier auf dem, „rechten Auge blind“, ließe sich nicht halten. Es fehlten die „aktuellen BezĂŒge zu Rassismus und Antisemitismus“ und „alles andere sei hier auszuschließen“, beziehungsweise „gar nicht erst aufgetaucht“. „Wenn ich hingehe und nur das dann zitiere, was mir passt – das geht nicht“.

    Deshalb er sagt, dass sein Mandant keinerlei rechte Gesinnung habe. Es sei im Gegenteil, „unsauber“. Ohliger selber habe sich nicht weiter mit diesen Dingen auseinandergesetzt, betont aber sehr deutlich und sehr laut, das hat aber der Staatsschutz. (*Anmerkung: Zwischendurch ironisiert er immer stĂ€rker und redet sich nahezu in Rage. WĂ€hrend er anfangs noch zwischendurch auf sein Blatt geguckt hat, redet er jetzt völlig frei. Was auch daran deutlich wird, dass er immer mehr auch seine Stimme dazu einsetzt, bestimmte Sachverhalte zu radikalisieren. Auch sagt er wiederholt so etwas wie Hallo und zieht das O dabei sehr lang.)

    Über seinen Mandanten sagt er in diesem ironisierenden Ton, „der hat böse Sachen gemacht“. Dann erzĂ€hlt er mit Bezug auf die Aussage der Nachbarin, dass Daniel S. NS-Musik beim Arbeiten im Garten gehört habe und diesen ihr gegenĂŒber glorifiziert: Er selbst, also Ohliger, habe neulich auf einem SchĂŒtzenfest in seiner Nachbarschaft gehört, wie Marschmusik abgespielt worden sei und sagt ironisierend, „da habe ich doch gleich den Staatsschutz eingeschaltet“. Dann spricht er noch einmal darĂŒber, dass er das Lied Erika gehört habe, was er vorher nicht gekannt habe „oder ,Das Lied mit der roten Fahne‘ auch so ein Klassiker aus dem Dritten Reich.“ (*Anmerkung: Mit Letzterem meint er vermutlich das „Horst-Wessel-Lied“ / „Kampflied der Nationalsozialisten“, was ebenfalls im Zuge der Nachermittlungen gefunden worden war. Aus dem Liedtext: „Und höher und höher und höher, Wir steigen trotz Haß und Verbot. Und jeder SA Mann ruft mutig : Heil Hitler ! Wir stĂŒrzen den jĂŒdischen Thron !“) Laut Ohliger sei „Erika“ völlig unbedenklich. Und sagt dazu wortwörtlich, „das kann doch einen Seemann nicht erschĂŒttern“.

    Er geht nochmal auf die These ein bzw. die DualitĂ€t zwischen offenem Rechtsextremismus und stiller Radikalisierung im Rechtsextremismus, zitiert den psychiatrischen Gutachter Professor Faustmann. Und geht auch nochmals darauf ein, dass Baßay-Yıldız gesagt habe, dass es hier an einem SachverstĂ€ndigen gefehlt habe. Und dass in Prozessen gegen IS oder vermeintliche IS-TĂ€ter*nnen immer ein SachverstĂ€ndiger zitiert wĂŒrde. Hier sagt er, dass der Staatsschutzbeamter Thomas Böttcher zusammen mit Innenminister Herbert Reul deutlich gemacht habe, dass hier alles getan worden wĂ€re. Und mit Bezug auf den Staatsschutz sagt er, „dass hier einfach keine Äußerung gemacht werden konnte zu diesem Menschen hinter mir“ und verweist dabei auf den Angeklagten Daniel S. Er geht nochmals ein auf den Brand in der Normannenstraße und Baßay-Yıldız Einlassung dazu, dass wenn damals ermittelt worden wĂ€re, oder zumindest in AnsĂ€tzen vernĂŒnftig ermittelt worden wĂ€re, einiges hĂ€tte verhindert werden können. Hier sagt er wortwörtlich „Das ist ne Nummer von Nazi hĂ€tte hĂ€tte Fahrradkette“ und sagt dann, „auch wenn das in diesem Kontext vielleicht ein bisschen frech ist“. Er fragt, was denn danach passiert sei, wenn man denn ermittelt hĂ€tte. „Man hĂ€tte bei Null gestartet [
] ohne Tatverdacht, der hĂ€tte dringend sein können“ Er sagt, dass im Vergleich zum heutigen Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit damals, wenn denn ermittelt worden wĂ€re, relativ hoch wĂ€re, dass Daniel S. nicht verhaftet worden wĂ€re und sagt ironisierend „Wenn in der Normannenstraße richtig ermittelt worden wĂ€re, dann hĂ€tte
 hĂ€tte hĂ€tte Fahrradkette.“

    Jetzt gibt er an, auf ein sogenanntes „Highlight“ einzugehen, nĂ€mlich auf „Die vielen AuslĂ€nder in der Josefstraße“ und „Da sollen irgendwo im Hinterhof Chinesen gewohnt haben“. (*Anmerkung: Zum Kontext: Bereits Staatsanwalt Bona hatte sich argumentativ darauf gestĂŒtzt, dass Daniel S. nicht rassistisch sein könne, weil in dem Haus in der Josefstraße, auf das Daniel S. im Februar 2024 ebenfalls einen Brandanschlag begangen hatte, nur Menschen mit deutschen Namen leben) Ohliger lĂ€sst sich darĂŒber aus, dass erst durch mehrfache Nachforschung ĂŒberhaupt hĂ€tte herausgefunden werden können, dass vermeintlich in einem Nachbarhaus oder Hinterhaus Menschen asiatischer Herkunft hĂ€tten gewohnt haben können. Daraufhin macht er ein „GestĂ€ndnis aus eigener Warte“, er sagt, dass auch er das Sylt-Video mit „Deutschland den Deutschen, AuslĂ€nder raus“ bei „den bösen Rechten von Focus“ geschaut, also geklickt habe und ob er denn jetzt ein Rechter sei. „Wir verwursten hier nur das, was uns Freude macht“. In Bezug auf die Aussage eines Bewohners der GrĂŒnewalderstraße, Daniel S. sei immer freundlich und hilfsbereit ihm und seinem behinderten Vater gegenĂŒber gewesen, sagt Ohliger ironisierend gegenĂŒber Baßay-Yıldız: „Aber ich möchte, dass die Gleichung aufgeht: Da sind vier AuslĂ€nder tot und deswegen ist der TĂ€ter ein Rechtsradikaler.“ Und weiter – bezogen auf Baßay-Yıldızs Einlassung, dass die TĂ€ter in Hanau, Halle und MĂŒnchen ebenfalls vorher nicht durch rechtsextreme Gesinnung aufgefallen waren – „Mag ja so sein, dass in Hanau und was weiß ich wo [
]“ und pflichtet dann Staatsanwalt Bona bei, dass in der Gesamtheit ein rassistisches Motiv habe nicht belegt werden können. Zum beantragten Strafmaß stimmt er in allen Punkten zu, außer zu den rechtsextremen Motiven. Daniel S. solle nun verurteilt werden, aber nicht eben als Rechtsradikaler. Weiter sagt er, der Anschlag sei auch dann nicht rechtsradikal gewesen, wenn dort die KreisgeschĂ€ftsstelle der AfD gewesen wĂ€re, denn es hĂ€tte nichts mit den Menschen, die dort wohnten, zutun.

    Daniel S.

    Zum Abschluss spricht der Angeklagte ein abgelesenes, letztes Wort ein, wobei er einen entspannten und unemotionalen Eindruck macht. Einige Teile der Familie der Opfer verlassen zuvor den Gerichtssaal. Er liest von einem Zettel ab: „Durch mein Handeln habe ich unvorstellbares Leid erzeugt.“ und zĂ€hlt auf Bruder, Sohn, Enkel, die getötet wurden. „Ich bin dafĂŒr verantwortlich, dass Ihnen alles genommen wurde.“ Er wĂŒnschte, er könne die Zeit zurĂŒckdrehen, was er nicht könne. „Was ich kann, ist zu sagen, dass es mir aufrichtig Leid tut.“

  • 28. Juli 2025: Sitzung 20 AbschlussplĂ€doyers von Staatsanwalt Dr. Christopher Bona, Athanasios Antonakis (Nebenklagevertreter, RenĂ© S.) Simon Rampp (Nebenklagevertreter des Überlebenden Ö.), Radoslav Radoslavov (Nebenklagevertreter der Hinterbliebenen von Katya Zhilova)

    Im Gerichtssaal sind heute weitere Angehörige der Opfer des Brandanschlags anwesend, welche aus Bulgarien angereist sind. Zum Beginn der Sitzung wird die Beweisaufnahme geschlossen, im Anschluss stellen Staatsanwalt Christopher Bona sowie die NebenklageanwĂ€lte ihre PlĂ€doyers vor – mit Ausnahme von Seda Baßay-Yıldız, die ihr PlĂ€doyer am 30. Juli vortragen wird.

    PlÀdoyer von Staatsanwalt Christopher Bona

    Der TĂ€ter Daniel S. hatte bis zum ersten Verhandlungstag zu den VorwĂŒrfen geschwiegen. Erst im Angesicht des Leids der Angehörigen habe er sich dazu bewegt gefĂŒhlt, ein GestĂ€ndnis abzulegen. Subjektive und objektive Beweise sowie Indizien, die ihn belasteten, hĂ€tten zu einem „enormen personellen Aufwand“ und einer „zeitlichen Belastung“ der Mordkommissionen gefĂŒhrt. Dies sei eine „erhebliche Leistung“ gewesen.

    Bereits vor dem Machetenangriff habe es Verdachtsmomente gegen Daniel S. gegeben. Doch bevor diesen habe nachgegangen werden können, sei es zur Tat gekommen. Vor allem die besondere Zusammensetzung der Brandbeschleuniger und BrandsĂ€tze habe es ermöglicht, die BrĂ€nde in der GrĂŒnewalderstraße und in der Josefstraße demselben Urheber zuzuordnen. Weitere Ermittlungen fĂŒhrten zu DNA-Spuren an einer PET-Flasche und einer Lunte. Zudem ließ sich der TĂ€ter durch Jessica B. auf einem der Videos aus der GrĂŒnewalderstraße identifizieren.

    Tatverlauf der Brandstiftung am 25. MĂ€rz 2024 in der GrĂŒnewalder Straße

    Daniel S. bewegte sich ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum hinweg nachts in Solingen umher, wĂ€hrend seine Partnerin schlief. „In der Tatnacht entschied er sich, seine AktivitĂ€t zu steigern.“ Er lief nach Hause, um zwei im Keller prĂ€parierte PET-Flaschen mit Brandbeschleuniger zu holen. Die erste Flasche entleerte er im TĂŒrbereich, die zweite im Treppenhaus. Laut Zeug:innenaussagen gab es keine Explosion. Die BrandsachverstĂ€ndigen gehen davon aus, dass er zur EntzĂŒndung des Feuers einen brennenden Gegenstand in den Flur warf. Der Brand breitete sich rasend schnell aus. Durch die installierten Rauchmelder wurden einige Anwohner:innen geweckt.

    Der Zeuge K. berichtete, dass der Fluchtweg ĂŒber das Treppenhaus unmöglich gewesen sei. Er sei schließlich aus einem rĂŒckwĂ€rtigen Fenster geklettert und habe sich durch einen Sprung retten können. Einige Nachbar:innen öffneten in Panik ihre WohnungstĂŒren und verschlossen sie nicht wieder – durch die Frischluftzufuhr entstand ein sogenannter Kamineffekt. Der Staatsanwalt kommentierte hierzu, dass dieses irrationale Verhalten im Zustand der Todesangst „normal“ sei – dies habe ihm auch der BrandsachverstĂ€ndige bestĂ€tigt. Eine verschlossene TĂŒr könne in einem solchen Fall wertvolle Minuten bedeuten.

    Zeuge Ö. wurde durch Schreie geweckt. Auch er öffnete und verschloss seine WohnungstĂŒr wieder, ehe er sich ĂŒber das rĂŒckwĂ€rtige Badezimmerfenster in Sicherheit brachte. Dabei erlitt er Prellungen, leide jedoch deutlich stĂ€rker unter den psychologischen Folgen.

    Die Bewohnerin K. sei im Flur auf einer FlĂŒssigkeit ausgerutscht; zunĂ€chst wurde vermutet, es handle sich um geplatzte Wasserrohre. Die Familie K. erlitt schwere Verbrennungen und stand TodesĂ€ngste durch. Dass Familienvater K. mit seinem Kind im Arm rĂŒcklings aus dem zweiten Stock auf ein Auto sprang, bezeichnete der Staatsanwalt als sehr mutig. Er werde „Zeit seines Lebens durch diese Tat gezeichnet sein“. „Alle haben ganz erheblich an der Tat zu leiden“, fĂŒhrte er weiter aus.

    Der Aussage, die Feuerwehr sei verzögert eingetroffen, widersprach der Staatsanwalt. Der erste Notruf sei um 2:47 Uhr bei der Dienststelle eingegangen, unmittelbar danach sei alarmiert worden, und die Feuerwehr rĂŒckte aus. Weitere Notrufe zum selben Ereignis hĂ€tten zum Teil nicht durchgestellt werden können. Die Bergung der Verletzten, die aus dem Haus gesprungen waren, erschwerte zunĂ€chst das Ausbreiten des Sprungkissens. Auch das Ausfahren der Rettungsleiter verzögerte sich dadurch.

    Die Wohnung der Familie Zhilovi muss sich – nach dem Öffnen der HaustĂŒr – in wenigen Momenten mit heißem Rauchgas gefĂŒllt haben, sodass kaum Handlungsspielraum blieb. Der durch den Kamineffekt erzeugte Druck habe mutmaßlich dazu gefĂŒhrt, dass sich die TĂŒr nicht mehr schließen ließ. Den Betroffenen seien vermutlich nur wenige AtemzĂŒge geblieben; sie hĂ€tten keine Chance gehabt, das rettende Fenster zu erreichen.

    Brandstiftung am 9. November 2022 im gleichen Haus der GrĂŒnewalder Straße

    Hier habe Daniel S. im Treppenhaus desselben Hauses auf mehreren Ebenen GrillanzĂŒnder ausgelegt, im Keller einen Benzin-Brandsatz mit Lunte, der allerdings nicht zĂŒndete. Auch hier gab es mehrere separate Brandquellen. Das Feuer wurde frĂŒhzeitig entdeckt. Der Zeuge Ö. konnte seinen gehbehinderten Vater am Feuer vorbei aus dem Haus fĂŒhren, als er zurĂŒckkehrte, um seinen Bruder zu retten, war der Weg durchs Treppenhaus bereits unmöglich. Sie und weitere Anwohner:innen wurden ĂŒber eine Drehleiter gerettet, ohne körperliche Verletzungen, jedoch in panischer Angst.

    Brandstiftung am 16. Februar 2024 in der Josefstraße

    In der Josefstraße habe Daniel S. mit drei PET-Flaschen, gefĂŒllt mit Benzingemisch und Brandbeschleunigern, den Keller und das hölzerne Treppenhaus in Brand gesetzt. Der Brand breitete sich jedoch nicht weiter aus. Die Spuren der Tat wurden erst am folgenden Tag durch den Zeugen M. entdeckt. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass auch hier Menschenleben in Gefahr waren. Er habe vorsĂ€tzlich gehandelt – es habe sich nicht um eine bloße Inkaufnahme gehandelt.

    Bona sieht kein rechtes Tatmotiv und wettert gegen die Presse und kritische Stimmen im Allgemeinen

    „Die große Frage in diesem Verfahren war das Motiv.“ Das Motiv liege im Inneren des TĂ€ters – man sei daher auf dessen eigene Angaben angewiesen. Seinen Aussagen zufolge seien ihm Herkunft und NationalitĂ€t der Opfer egal gewesen. Er habe sich in der Nacht zur Tat entschlossen und sich ĂŒber seine eigenen Bedenken hinweggesetzt. Zudem habe er einen Konflikt mit seiner ehemaligen Vermieterin erwĂ€hnt.

    Ob darĂŒber hinaus abweichende Anhaltspunkte zum Motiv des TĂ€ters existierten, sei reine Spekulation. Man dĂŒrfe dem TĂ€ter keinen “Stempel aufdrĂŒcken”. Es sei grundsĂ€tzlich falsch, einen solchen Stempel zu setzen und anschließend nach Fakten zu suchen, die die „eigenen Thesen“ und ein „gewĂŒnschtes Zielergebnis“ bestĂ€tigen sollen.

    Unser Rechtssystem verlange zweifelsfreie Belege – auch fĂŒr ein rechtes Tatmotiv. Dieses „war, ist und bleibt reine Spekulation ohne jeden Beweiswert.“ Die „Verortung in Solingen allein reicht nicht“ aus, um ein solches Motiv zu unterstellen und Daniel S. entsprechend zu „stempeln“. Nachvollziehbare Assoziationen zum Brandanschlag von 1993 seien keine ausreichende Grundlage, ein rechtes Tatmotiv anzunehmen. „Behauptungen ins Blaue“ wĂŒrden hier nicht weiterhelfen – notwendig sei eine „Orientierung an den Tatsachen“. „Einen objektiven Zusammenhang mit einem rechten Tatmotiv gibt es nicht.“

    Konkret habe es keine aktuellen Pamphlete oder rechten FlugblĂ€tter gegeben, keine „fremdenfeindlichen Parolen“ und auch keine Hinweise darauf, dass der TĂ€ter online rechtsradikale Kontakte gesucht habe. Auf dem Klingeltableau der Josefstraße sei zudem nur ein deutscher Name verzeichnet gewesen, und in der GrĂŒnewalder Straße hĂ€tten auch nicht alle Bewohner:innen einen Migrationshintergrund gehabt. „Ist das das Motiv eines fremdenfeindlichen TĂ€ters? – Sicher nicht!“ Eine „fremdenfeindliche Gesinnung [sei] völlig fernliegend“. Dem fĂŒgte der Staatsanwalt hinzu: Es sei allerdings – „warum auch immer [
] gewĂŒnscht.“ Von wem, lĂ€sst er an dieser Stelle offen.

    Es kommt zu technischen Schwierigkeiten mit den EmpfangsgerĂ€ten der Übersetzung – es sei ein Rauschen in der Übertragung zu hören. Richter Kötter kommentiert trocken: „Tja, wir haben hier auch ein HintergrundgerĂ€usch“ – und bezieht sich damit auf die GerĂ€uschkulisse durch die Übersetzung. Die Übersetzerin fĂŒr Bulgarisch setzt sich daraufhin nĂ€her zu den NebenklĂ€ger:innen.

    Die Ex-Partnerin und die aktuelle Partnerin von Daniel S. stimmten darin ĂŒberein, dass dieser kein gefestigt rechtsextremes Weltbild habe. Nicht „alle Taten eines deutschen TĂ€ters gegenĂŒber Menschen mit Migrationshintergrund haben ein fremdenfeindliches Motiv.“ Damit impliziert Bona, dass eine solche Behauptung im Raum stehe – eine Haltung, die sich auch in seinen weiteren AusfĂŒhrungen widerspiegelt. So kritisiert er, im Zuge des Verfahrens werde öffentlich „auf niedrigstem Niveau auf Ermittlungsbehörden geschimpft.“

    Bona bezieht sich dabei auch auf das Gutachten von Dr. Faustmann. Er betont, dass beim TĂ€ter keine gefestigte rechtsradikale Gesinnung vorliege – eine solche hĂ€tte bereits 2022, beim ersten Brandanschlag, vorhanden sein und mit einer Radikalisierungsbewegung einhergehen mĂŒssen. Es fehle an eindeutigen Kontakten in ein rechtes bis rechtsextremes Umfeld. Die 166 Bilder, die im Verfahren eine Rolle spielten, seien nicht eindeutig Daniel S. zuzuordnen. Aber selbst wenn das der Fall wĂ€re, existiere keine entsprechende Kommunikation oder weiterer Kontext, aus dem sich RĂŒckschlĂŒsse ĂŒber seine Haltung zu diesen Bildern ziehen ließen. Bona weist darauf hin, rechte Memes wĂŒrden hĂ€ufig in Chatgruppen auftauchen – man sende sich so etwas oft zu, auch in humoristischer Absicht.

    Auch das Wahlprogramm einer rechten Partei sei kein hinreichendes Indiz, um ein rechtes Tatmotiv festzustellen. GrundsĂ€tzlich könnten gefundene Materialien denklogisch kein Motiv sein – entscheidend sei das Verhalten des TĂ€ters zu diesen Materialien. Dass der Brandanschlag in der Josefstraße am 9. November – dem Jahrestag der Reichspogromnacht – stattfand, wiege schwer. Doch auch das könne Zufall sein. Es lasse sich nicht belegen, dass das Datum bewusst gewĂ€hlt wurde.

    Der Durchsuchungsbeschluss bezog sich ausschließlich auf die Wohnung des TĂ€ters. Der Vater war vor Ort, hatte einen SchlĂŒssel und gestattete auch die Durchsicht seiner (mutmaßlich eigenen) Wohnung. Auch dort hĂ€tten sich keine Hinweise auf eine entsprechende Motivlage ergeben – trotz vorhandener Fotos von NS-Literatur. Der Staatsschutz habe weder beim Vater noch bei Daniel S. Kontakte in rechtsextreme Milieus nachweisen können.

    Dass die Fotos von NS-Literatur nicht zur Akte gelangten, sei auf menschliche Fehler zurĂŒckzufĂŒhren. Dennoch werde „von einer großen Vertuschungsverschwörung“ fabuliert – von wem genau, lĂ€sst Bona offen. „Sippenhaft gibt es hier zum GlĂŒck nicht“, erklĂ€rt er. Das Verhalten des TĂ€ters stehe fĂŒr sich und könne nicht durch das Verhalten anderer bewertet werden.

    Bona bezieht sich auch auf ein in einem privaten Chat geĂ€ußertes Zitat von Daniel S., in dem er schrieb, „Kanaken“ solle man zu Silvester einen Polenböller schicken, der möglichst großen Schaden anrichte. Dieses Zitat sei einmalig und stamme aus einem privaten Umfeld – es reiche nicht aus, um eine rechte Gesinnung zu belegen. „Jeder regt sich mal auf, wenn etwas nicht so lĂ€uft, wie man es möchte.“ Und weiter: „Die einen nutzen unflĂ€tige Worte, andere werfen Vertuschung vor.“ – ein Zitat, das Bonas persönliche Haltung beim Vortrag seines PlĂ€doyers deutlich erkennen lĂ€sst.

    Anschließend verweist Bona auf das in der Garage von Daniel S. gefundene „Lied eines Asylsuchenden“, das in gerichtlichen Verfahren zum Teil als Volksverhetzung eingestuft wurde. Allerdings seien dort auch Bierdeckel der Satirepartei Die PARTEI gefunden worden, die sich, so Bona, „am linken Rand des Parteienspektrums“ befinde – und Plakate mit der Aufschrift „Nazis töten.“ verbreite. Daraus folgert Bona, dass dies eine rechte Tendenz des TĂ€ters widerlege.

    Er kommt zum Schluss, dass der „Verschwörungstheorie“ eines rechten Tatmotivs jeglicher Boden entzogen sei. Auch der Staatsschutz habe keine stille oder offene Radikalisierung feststellen können – trotz der Auswertung von zehn Jahren des digitalen Lebens von Daniel S. Es gebe keinen Grund, „eine Person öffentlich mit einem Stempel zu versehen.“ Die Behauptung, ein rechtes Motiv sei verborgen gewesen, sei nicht nachvollziehbar. Auch die Staatsanwaltschaft hĂ€tte keinen Vorteil davon, ein solches Motiv zu verschweigen. Es sei eine „unverschĂ€mte Unterstellung“, von der Vertuschung eines rechtsradikalen Motivs zu sprechen: „Es gab auch nichts zu vertuschen“ – das sei „vollkommen hanebĂŒchen.“

    Bona erklĂ€rt weiter: Es sei ganz normal, dass wĂ€hrend eines Verfahrens neue Erkenntnisse auftauchen. Doch er kritisiert scharf: „Die medienwirksame Vermarktung der neuen Erkenntnisse als Polizei- und Justizskandal torpediert ein faires Verfahren.“ Dass die Staatsanwaltschaft keine dieser neuen Erkenntnisse selbst ermittelt hat und ihre Relevanz von Anfang an konsequent kleingeredet hat – davon sagt Bona nichts.

    Bezug auf das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Faustmann

    Nachdem Bona aus seiner Sicht alle Vermutungen und Indizien fĂŒr ein rechtsextremes Tatmotiv umfassend widerlegt hat, prĂ€sentiert er das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Faustmann als einzig plausibles ErklĂ€rungsmodell. Demnach sei die Tat ein Mittel zur Kompensation von ihn einengenden Drucksituationen und zur Selbsterhöhung gewesen. Laut Faustmann sei es Daniel S. nicht um die Tat selbst gegangen, sondern allein um ihn als Person – auf motivationaler Ebene seien ihm die Menschenleben völlig gleichgĂŒltig gewesen. Der Mietstreit sei nur ein kleiner Faktor gewesen. Hinzu kĂ€men die persönliche Ortsbeziehung sowie das Wissen um die offenstehende HaustĂŒr. Es habe zu keinem Zeitpunkt einen “objektiv zweifelsfreien Grund” gegeben, ein rechtsextremes Tatmotiv anzunehmen – weder vor noch nach der Beweisaufnahme.

    BegrĂŒndung des Strafmaßes fĂŒr die drei BrandanschlĂ€ge

    Da Daniel S. am 25. MÀrz 2024 aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur gehandelt habe und die Tat kein Mittel zur Erreichung konkreter Ziele gewesen sei, komme Bona zu dem Schluss, dass kein niederes Tatmotiv vorliege.

    Er fordert:
    – Mord in vier FĂ€llen,
    – davon dreimal heimtĂŒckisch,
    – achtfach versuchter Mord sowie
    – gefĂ€hrliche Körperverletzung.

    Ein gemeingefĂ€hrliches Mittel sei durch das Feuer gegeben gewesen, das sich in einem dicht besiedelten Umfeld mit unberechenbaren Folgen hĂ€tte ausbreiten können. Die HeimtĂŒcke begrĂŒndet sich dadurch, dass die Opfer im Schlaf ĂŒberrascht worden seien und keine Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt hĂ€tten.

    FĂŒr den ersten Brandanschlag in der GrĂŒnewalder Straße am 9.11.2022 spricht Bona von zehnfachem versuchten Mord, in neun FĂ€llen ebenfalls heimtĂŒckisch. Nur durch GlĂŒck seien alle Bewohner:innen des Hauses unverletzt geblieben.

    Beim Brandanschlag in der Josefstraße habe ein versuchter Mord in zwei FĂ€llen vorgelegen – auch hier mit dem Mordmerkmal HeimtĂŒcke und unter Einsatz gemeingefĂ€hrlicher Mittel. Es sei großflĂ€chig Brandbeschleuniger ausgetragen worden. Der TĂ€ter habe keine Reue gezeigt und keinerlei Löschversuche unternommen. Ein RĂŒcktritt von der Mordabsicht sei daher nicht festzustellen.

    In allen drei FĂ€llen habe Daniel S. geplant, gesteuert und zielgerichtet gehandelt – im vollen Bewusstsein, was bedeutet, dass er voll schuldfĂ€hig war. Strafmildernde UmstĂ€nde im Sinne von § 20 StGB lĂ€gen nicht vor.

    WĂ€hrend der AusfĂŒhrungen zu seiner psychischen Verfassung hat Daniel S. mit den Augen gerollt – eine der seltenen sichtbaren Regungen im Verlauf des gesamten Prozesses.

    BegrĂŒndung des Strafmaßes fĂŒr den Machetenangriff auf RenĂ© S. am 08. April 2024

    Gegen 15 Uhr sei Daniel S. mit dem Fahrrad zu RenĂ© S. gefahren. In seinem Rucksack befanden sich eine 40–45 cm lange Machete sowie eine Box mit Papierschnipseln, die er als vermeintliche Cannabislieferung angekĂŒndigt hatte. Als sich RenĂ© S. mit dem RĂŒcken zu ihm wandte und die Box öffnete, habe Daniel S. ihn mit Tierabwehrspray besprĂŒht – allerdings nicht voll getroffen. Anschließend habe er ihm zweimal mit voller Wucht mit der Machete auf den Kopf geschlagen. RenĂ© S. schrie laut auf und flĂŒchtete ins Treppenhaus, wobei er sich bei einem Sprung eine Knöchelfraktur zuzog. Dort wurde er erneut mit der Machete auf den Kopf geschlagen. Dabei erlitt er vier offene Wunden sowie eine gebrochene Nase. Durch die Schreie seien Nachbar:innen alarmiert worden. Daniel S. flĂŒchtete mit den Worten: „NĂ€chstes Mal breche ich dir dein Bein richtig.“

    Bona berichtet, dass Daniel S. sein Tatmotiv mit den Worten erklĂ€rt habe, er sei „völlig durch“ gewesen. Der Angriff auf seinen langjĂ€hrigen Freund, mit dem er keinerlei Konflikte gehabt habe, sei fĂŒr Bona völlig aus dem Nichts erfolgt.

    Zeugin Demir hatte zwei Tage zuvor bei einem Treffen, in Anspielung auf den Brandanschlag, gesagt: „Wir haben einen Mörder unter uns“ – womit sie jedoch nicht Daniel S., sondern die Solinger Stadtgesellschaft meinte. Dies habe Daniel S. stark verunsichert. Er habe geĂ€ußert, es mĂŒsse sich um einen Unfall handeln. Diese Situation habe ihn unter Druck gesetzt – in Kombination mit seiner Persönlichkeitsstruktur habe dies zum Motiv gefĂŒhrt, RenĂ© S. töten zu wollen. Da RenĂ© S. deutscher StaatsbĂŒrger sei, sei ein rassistisches Motiv laut Bona „völlig abwegig“.

    Daniel S. habe mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt. Die Box mit Papierschnipseln diente zur Ablenkung, das Tierabwehrspray sollte RenĂ© S. arg- und wehrlos machen – was jedoch nur teilweise gelungen sei. Da es wĂ€hrend der TatausfĂŒhrung zu keinem Zeitpunkt Anzeichen eines RĂŒcktritts gegeben habe – Daniel S. schlug weiter auf ihn ein, selbst als dieser am Boden lag – sei eine Tötungsabsicht sowie die volle SchuldfĂ€higkeit festzustellen.

    Seiner Partnerin habe Daniel S. nach der Tat gesagt, er wisse nicht, ob René S. noch lebe, und gehe davon aus, dass die Polizei bald eintreffe. Dieses GestÀndnis, sein sehr strukturiertes Vorgehen und auch die Angaben zur vollen ZurechnungsfÀhigkeit bei seiner Verhaftung am Folgetag durch den Polizeibeamten belegten laut Bona die SchuldfÀhigkeit.

    Strafmaß fĂŒr die drei Brandstiftungen

    – Lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes und versuchter Morde.
    – Bei den beiden weiteren BrandanschlĂ€gen sei es nur Zufall gewesen, dass niemand zu Tode kam – ein geöffnetes Fenster hĂ€tte etwa einen Kamineffekt auslösen und verheerendere SchĂ€den oder Tote verursachen können.
    – Eine Strafmilderung sei nicht erkennbar – der Tod sei billigend in Kauf genommen worden, es habe eine akute Bedrohungs- und Gefahrenlage bestanden.
    – Auch bei versuchtem Mord sei das Strafmaß auf lebenslang festzusetzen, da der Versuch dem vollendeten Mord strafrechtlich gleichgestellt ist.

    Strafmaß fĂŒr den Machetenangriff

    – zwölf Jahre Freiheitsstrafe fĂŒr versuchten Mord,
    – unter BerĂŒcksichtigung des umfassenden GestĂ€ndnisses,
    – der persönlichen UmstĂ€nde (FamilienverhĂ€ltnisse, Umzug, frĂŒherer Drogenkonsum),
    – aber auch mit Blick auf das Ausmaß des Schadens und der Folgen.

    RenĂ© S. sei „ein guter Freund gewesen, er hatte dem TĂ€ter nichts getan“ – der Vertrauensbruch sei immens. RenĂ© S. benötige eine Traumatherapie.

    Gesamtes Strafmaß

    Insgesamt fordert Bona lebenslange Haft in zusammenfassender Wertung von Tat und TĂ€terprofil. Es handle sich um vier verheerende Taten gegen das Leben, die erheblich seien und in mindestens drei FĂ€llen fĂŒr eine anschließende Sicherheitsverwahrung sprĂ€chen. Die Persönlichkeitsmerkmale und der in großen Mengen vorgefundene Brandbeschleuniger wĂŒrden darauf hindeuten, dass es sich um „ZĂŒndvorrichtungen fĂŒr erhebliche Menge weiterer Straftaten“ gehandelt habe. Die “Phasen” von Daniel S., ĂŒber die Jessica B. berichtete, hĂ€tten sich in der letzten Zeit gehĂ€uft. Die „Bereitschaft fĂŒr schwere Straftaten“ habe sich gesteigert. Zudem sei auch die GefĂ€hrlichkeitsprognose negativ.

    PlÀdoyer von Nebenklageanwalt Athanasios Antonakis

    Der Prozess wird mit den PlÀdoyers der NebenklÀger:innen fortgesetzt. Die Reihenfolge der PlÀdoyers wurde vorab abgestimmt. Den Anfang macht Nebenklageanwalt Antonakis, der den vom Machetenangriff geschÀdigten Rene S. sowie einen weiteren Bewohner des in Brand gesetzten Hauses vertritt.

    Antonakis beginnt mit dem Hinweis, dass er sich bemĂŒhen werde, langsamer als gewöhnlich zu sprechen, und erklĂ€rt, dass er sich im Wesentlichen den AusfĂŒhrungen der Staatsanwaltschaft zu Strafmaß und Tatbewertung anschließe. Über seinen Mandanten RenĂ© S. sagt er, dieser sei lange mit Daniel S. befreundet gewesen – sie hĂ€tten gemeinsam konsumiert, aber auch intensive GesprĂ€che gefĂŒhrt und lange SpaziergĂ€nge unternommen. Zitat: „Er hĂ€tte nicht im Traum daran gedacht, dass er ihn angreifen könne.“ Nach dem Angriff mit Reizgas habe RenĂ© S. um sein Leben gefĂŒrchtet.

    An diesem Punkt widerspricht Antonakis jedoch der Staatsanwaltschaft: Nach dem Reizgasangriff – einer „klaren ZĂ€sur“ – sei RenĂ© S. nicht mehr arglos gewesen. Der Angriff habe einen Bruch markiert. Er spricht wiederholt von einem tiefen Vertrauensbruch und schwerwiegenden körperlichen wie psychischen Folgen fĂŒr seinen Mandanten. Auch nach der Flucht habe Daniel S. nicht von ihm abgelassen – RenĂ© S. sei sich sicher gewesen: „Der will mir jetzt was Böses.“ Daher könne von HeimtĂŒcke keine Rede mehr sein. In allen ĂŒbrigen Punkten stimme er der Staatsanwaltschaft zu, insbesondere der EinschĂ€tzung, dass die Worte von Daniel S. kein RĂŒcktrittsversuch, sondern vielmehr Ausdruck seiner Reuelosigkeit gewesen seien. Die psychischen Folgen wögen bei RenĂ© S. wesentlich schwerer als die körperlichen Verletzungen. Das Motiv des Angriffs bleibe spekulativ – es könne ein Vertuschungsversuch gewesen sein oder der Versuch, einen Schlussstrich zu ziehen.

    Anschließend spricht Antonakis ĂŒber seinen zweiten Mandanten, Herrn Ö., der Daniel S. als Nachbarn kannte und ihn zunĂ€chst nicht als böswillig eingeschĂ€tzt habe. Erst spĂ€tere Erlebnisse mit ihm und seiner Familie hĂ€tten diesen Eindruck verĂ€ndert – er habe dies dem Drogenkonsum von Daniel S. zugeschrieben. Herr Ö. verlor durch den Brand sein Elternhaus – das Haus, in dem er aufgewachsen war – und damit seinen sicheren Ort. Er habe beide BrĂ€nde erlebt und höre bis heute die Schreie der Kinder. Beim rettenden Sprung aus dem Fenster habe er gefĂŒrchtet, in den Tod zu springen.

    Antonakis beschreibt eindrĂŒcklich, wie es sei, wenn sĂ€mtliche Fluchtwege versperrt sind und man vergeblich versuche, das Erlebte zu vergessen. Sein Mandant sei schwer belastet – nicht nur durch die Zerstörung des Hauses, sondern auch durch den Tod der Familie Zhilov(a) und das gesamte Geschehen. Er lĂ€sst sein Beileid und MitgefĂŒhl gegenĂŒber den Angehörigen ausdrĂŒcken, ebenso seine Bewunderung fĂŒr die Familie K., die sich retten konnte. Herr Ö. denke weiterhin an die Getöteten, die Überlebenden und deren Familien.

    Im Anschluss Ă€ußert er sich zum Verfahren selbst. Er bedankt sich beim Gericht und insbesondere beim Vorsitzenden Richter Kötter fĂŒr die VerfahrensfĂŒhrung sowie fĂŒr die erweiterten Ermittlungen zum Mordmerkmal „rechtsextreme Gesinnung“. Monatelang habe ihn – wie auch andere – beschĂ€ftigt, ob die Ermittlungen vollstĂ€ndig gewesen seien.

    Er lobt Seda Baßay-Yıldız ausdrĂŒcklich fĂŒr ihre prĂ€zise Arbeit und ihren scharfen Blick auf die Beweismittel – eine Arbeit, die eigentlich andere hĂ€tten leisten mĂŒssen. Die Kritik an ihr sei fĂŒr ihn unverstĂ€ndlich: Sie tue schlichtweg ihre Aufgabe als NebenklageanwĂ€ltin. Ihre Bewertungen – etwa zu den Aussagen von (Ex-)Partner:innen Daniel S.’ – seien notwendig und richtig gewesen. Die Entdeckung des Gedichts in der Garage und kritischer BĂŒcher durch Baßay-Yıldız sei ein Ergebnis ihrer GrĂŒndlichkeit. Auch ihm selbst, so sagt er, wĂ€ren diese Dinge nicht aufgefallen. „Genau das ist ihr Beruf – kein Hobby.“

    Sie habe sich auch nicht davon abbringen lassen, dass der Name „Jessica“ auf der Festplatte mit fraglichen Daten stand. Sie habe konsequent und kritisch nachgefragt – so, wie es ihre Aufgabe sei. Antonakis fragt in diesem Zusammenhang: „Warum soll eine Aussage einer LebensgefĂ€hrtin die Ermittlungen stoppen – vor allem, wenn die Opfer Migrant:innen sind?“

    Beim Thema Tatmotiv schließt er sich der Staatsanwaltschaft an. Auch wenn es heute anders erscheine, sei ein rassistisches Motiv anfangs keineswegs auszuschließen gewesen. Er erinnert an die Pressekonferenz vom 24.04.2024, in welcher der PolizeiprĂ€sident Markus Röhrl betonte, man werde umfassend ermitteln – gleichzeitig hĂ€tten sich zentrale Beweismittel, wie etwa die Festplatteninhalte, sechs Monate nach Anklageerhebung völlig anders dargestellt. Diese Informationen hĂ€tten bereits zuvor ausgewertet und den Ermittlungsakten vollstĂ€ndig beigefĂŒgt werden mĂŒssen.

    Er erhebt daraus keinen Vorwurf, fordert aber, dies zur Kenntnis zu nehmen. Es dĂŒrfe nicht Aufgabe einer NebenklageanwĂ€ltin sein, Beweise aufzudecken. Die Durchsuchungsakte hĂ€tte zu den Prozessakten gehören mĂŒssen. Generell habe die Hausdurchsuchung Fragen aufgeworfen. Eine genauere Auswertung hĂ€tte z. B. gezeigt, dass derselbe Typ Zigarettenbox sowohl in Daniel S.’ Wohnung als auch im Dachgeschoss gefunden wurde – was nahelege, dass auch das Dachgeschoss von ihm genutzt wurde. Das Ă€ndere zwar nichts am Prozessergebnis oder der Bewertung der Motivlage, sei aber dennoch bemerkenswert.

    Immer wieder betont Antonakis: Vom Ergebnis her habe er keinen Vorwurf – aber der Verlauf des Verfahrens hĂ€tte anders aussehen können. Gleich zu Beginn hĂ€tte alles vollstĂ€ndig und lĂŒckenlos gesichert werden mĂŒssen. Der Brand in der Normannenstraße hĂ€tte grĂŒndlicher aufgeklĂ€rt werden mĂŒssen. WĂ€re damals festgestellt worden, dass Daniel S. der TĂ€ter war, hĂ€tte möglicherweise vieles verhindert werden können.

    Die erwartete Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft nach Abschluss des Prozesses mĂŒsse diese offenen Fragen aufgreifen. Die kritische Berichterstattung der Presse sei in seinen Augen völlig berechtigt. „Dann mĂŒssen wir auch aushalten, dass wir bei der Arbeit hinterfragt werden.“ Es sei gut, dass es die Presse gebe – auch wenn deren TonalitĂ€t je nach Medium variiere. Die Medien hĂ€tten lediglich die offenen Fragen aus dem Prozess aufgegriffen. Zum Schluss unterstreicht Antonakis – auch mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung – dass Vertrauen in den Rechtsstaat nur dann entstehe, wenn man offen einrĂ€umen könne: „Das hĂ€tten wir besser machen mĂŒssen.“

    Im Ergebnis stimmt Antonakis der Staatsanwaltschaft zu. Er unterstellt ihr nicht, einseitig gehandelt zu haben, und hĂ€lt das geforderte Strafmaß fĂŒr angemessen.

    PlÀdoyer von Nebenklageanwalt Simon Rampp

    Auch Nebenklageanwalt Simon Rampp schließt sich dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß an. Er schildert eindrĂŒcklich, wie sich sein Mandant in Todesangst durch einen Sprung aus dem Fenster retten musste – mit MĂŒhe konnte er sich am verglasten Balkon einer Nachbarin festhalten, die ihm in einem Moment der Geistesgegenwart geöffnet hatte. Lange hĂ€tte er sich dort nicht halten können. Noch heute höre er die Schreie der Kinder – ein Ausdruck der bis heute anhaltenden psychischen Belastung.

    Sein Mandant bekunde ausdrĂŒcklich sein Beileid und seine Anteilnahme gegenĂŒber den Angehörigen der Familie Zhilov(a) sowie den weiteren im Haus betroffenen Verletzten – insbesondere gegenĂŒber Familie K. Er bewundere ihren Mut und sei tief bewegt von ihrem Leid.

    Zur Motivation fĂŒr die Nebenklage erklĂ€rt sein Mandant, es sei ihm um AufklĂ€rung gegangen, um das Verstehenwollen des „Warums“ – und um die Hoffnung auf erkennbare Reue. Der Prozess habe diese Erwartungen nicht erfĂŒllt. Im Gegenteil: Das Tatmotiv hĂ€tte umfassender aufgeklĂ€rt werden mĂŒssen – es blieben zu viele Ungereimtheiten: unvollstĂ€ndige Akten, gestrichene Inhalte, das Übersehen eines rechten Gedichts, unvollstĂ€ndige Durchsuchungsergebnisse, die Frage nach einem angeblichen Streit mit einer Vermieterin, die gar nicht im Haus wohnte – all das sei unbefriedigend. Vor allem aber: Die Hinweise auf ein rechtes Motiv des TĂ€ters seien unzureichend verfolgt worden. Diese Frage hĂ€tte klar beantwortet werden mĂŒssen.

    Zwar könne ein rechtsextremes Tatmotiv nicht eindeutig nachgewiesen werden – doch Daniel S. mĂŒsse fortan mit diesem Verdacht leben. Die Tat bleibe unbegreiflich – ob mit oder ohne rassistisches Motiv. Dass keine Reue erkennbar sei und der TĂ€ter dem Prozess apathisch beiwohnte, lasse keine Strafmilderung zu, auch nicht trotz GestĂ€ndnis. Rampp unterstĂŒtzt daher das Strafmaß und die BegrĂŒndung der Staatsanwaltschaft vollumfĂ€nglich.

    Er fordert zudem ein Schmerzensgeld fĂŒr seinen Mandanten sowie die vollstĂ€ndige Übernahme der Verfahrenskosten durch den Angeklagten.

    PlÀdoyer von Nebenklageanwalt Radoslav Radoslavov

    Radoslavov beginnt mit dem Hinweis, dieser Prozess – neben dem Verlust von vier Menschenleben – all das erschĂŒttere, was unser gesellschaftliches Zusammenleben ausmache. Eine Familie sei in wenigen Minuten ausgelöscht worden. Das Motiv bleibe unklar: Der TĂ€ter stand in keiner Beziehung zu den Opfern, finanzielle GrĂŒnde lagen nicht vor, ebenso wenig eine psychische Erkrankung. FĂŒr das Motiv gĂ€be es ein BĂŒndel von GrĂŒnden, zu denen auch ein rassistisches Weltbild gehört – hierfĂŒr gebe es zahlreiche Anhaltspunkte.

    Der TĂ€ter habe gewusst, dass das Haus von migrantisierten Menschen bewohnt war. Er habe geplant, kaltblĂŒtig und mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt. Dass er keinerlei Rettungsversuche unternommen habe, belege, dass er töten wollte. Die Tat verletze das Grundvertrauen, dass „niemand – unabhĂ€ngig von Herkunft, Sprache oder Pass – geschĂŒtzt ist“, dass kein Mensch selbst in den eigenen vier WĂ€nden sicher sei.

    Der Brand sei nachts gelegt worden, habe die Betroffenen im Schlaf ĂŒberrascht – am vertrautesten Ort, dem Zuhause. Durch das gemeingefĂ€hrliche Mittel des Feuers in einer dicht besiedelten Gegend hĂ€tte eine unbestimmte Vielzahl von Menschen sterben können. Daniel S., der das GebĂ€ude bereits zuvor angezĂŒndet habe, habe nun gezielt töten wollen – das zeige sich auch an der gezielten Brandlegung an den Fluchtwegen. Das Haus sei zur tödlichen Falle geworden. Alles spreche dafĂŒr, dass rassistische Motive im Zentrum standen.

    Radoslavov bittet nun die Übersetzer:innen, die folgende Passage aus RĂŒcksicht auf Angehörige vorsichtig zu behandeln oder auszulassen. Richter Kötter betont jedoch die Pflicht zur vollstĂ€ndigen Übersetzung – Angehörige und NebenklĂ€ger:innen könnten den Saal freiwillig verlassen.

    Radoslavov beschreibt die Grausamkeit der Tat. Ein Zeuge habe beobachtet, wie sich noch Menschen im dritten Obergeschoss hinter dem Fenster bewegten. Ein letzter Anruf der Opfer beim Zeugen K. habe die Worte enthalten: „Bruder, Bruder, wir verbrennen hier.“ Die Behauptung, die Mitglieder der Familie Z. seien schnell verstorben, könne angesichts dieser Aussagen so nicht aufrechterhalten werden. Der Gedanke, dass Eltern mit ihren Kindern gemeinsam um ihr Leben kĂ€mpften, sei kaum zu ertragen. Zeuge K., der den Anruf erhalten habe, sei schwer traumatisiert. Die Schreie und die Todesangst blieben allen im GedĂ€chtnis.

    Der TĂ€ter habe aus niederen BeweggrĂŒnden gehandelt, schweige sich jedoch zum Motiv aus. Seine fremdenfeindlichen Aussagen seien mehrfach belegt – zuletzt durch die Aussage einer Nachbarin am letzten Prozesstag sowie durch zahlreiche im Verfahren ausgewertete Chatnachrichten. Eine menschenverachtende, rassistische Gesinnung sei im Gesamtbild klar erkennbar und dĂŒrfe nicht ignoriert werden auch wenn Daniel S. allen eine ErklĂ€rung schuldig geblieben ist. Dass es sich bei den Opfern um eine bulgarische Familie handelte, sei kein Zufall.

    Radoslavov unterstĂŒtzt daher das PlĂ€doyer der Staatsanwaltschaft auf eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Eine derart schwere Tat mit rassistischem Hintergrund verlange eine klare Antwort – nicht aus Rache, sondern aus Verantwortung. Ein solches Urteil mĂŒsse ein deutliches Zeichen setzen: gegen Gewalt, gegen Rassismus, gegen Menschenverachtung. Eine vorzeitige Haftentlassung wĂŒrde dem Gerechtigkeitsempfinden in unserer Gesellschaft nicht entsprechen und sei daher nicht angemessen.

  • 25. Juli 2025: Sitzung 19

    Zusammenfassung:

    FĂŒr den heutigen Prozess wird eine Nachbarin des TĂ€ters Daniel S. geladen, die mit ihm, dessen Partnerin und den Eltern in einer Hofschaft in Solingen lebt. Die Nachbarin hatte sich zuvor bei der Polizei gemeldet und dort ausgesagt, dass ihr Jessica B., die Partnerin des TĂ€ters, kurz nach dessen Verhaftung gestanden habe, dass er auch fĂŒr den Brandanschlag in der Wuppertaler Normannenstraße verantwortlich ist. Zudem berichtet die Nachbarin von ihren Erfahrungen und EindrĂŒcken zu Daniel S. und dessen familiĂ€ren sowie sozialen Umfeld, insbesondere zu NS-verherrlichenden Aussagen des TĂ€ters und rassistischen „Stammtischparolen“ des Vaters und Umfelds.

    In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli – also vor ihrer gerichtlichen Aussage – wird sie von Jessica B. und einer weiteren Nachbarin, der Frau von Marcel L. (Die IdentitĂ€ren und ehemals NPD) unter Druck gesetzt, in dem ihre Katzenklappe spĂ€tabends aufgebrochen und ihr ein Brief eingeworfen wird. In Panik ruft sie die Polizei, die sie nachts zu ihrer Tochter bringt. Dazu mehr im folgenden Bericht.

    Des Weiteren stellt der psychologische Gutachter Prof. Dr. Faustmann sein abschließendes psychiatrisches Gutachten ĂŒber den TĂ€ter vor und es werden alle AntrĂ€ge von Baßay-Yıldız abgelehnt. Diese wird wegen ihres Urlaubs in der heutigen Sitzung von Andrea Groß-Bölting vertreten. Der Anwalt Fatih Zingal und seine Klienten, Kancho Zhilovs Eltern, sind heute nicht beim Prozess dabei.

    Bericht der Nachbarin: NS-Verherrlichung und Garagen-Treffen mit „AuslĂ€nderdebatten“

    Die Nachbarin wohnt seit 2012 in der gleichen Hofschaft, wo auch Daniel S. und Jessica B. seit 2022 gewohnt haben bzw. Jessica B. auch nach wie vor noch lebt. Das Haus des Paares ist auf der gegenĂŒberliegenden Seite ihrer Terrasse, in der Nachbarschaft seien alle per „Du“.

    Über ihr persönliches VerhĂ€ltnis zum TĂ€ter sagt die Nachbarin aus, dass er ihr gegenĂŒber sehr hilfsbereit gewesen sei, ihr mal Blumen gebracht oder einen verletzten Finger verbunden habe. Seinem Vater Rudolf S. (Rufname: Rudi) gehört das Haus, in dem Daniel S. zuletzt lebte. Dieser selbst sei nach dem Tod seiner Mutter in ihr Haus ein StĂŒck weiter gezogen. Das Leben in der Hofschaft rund um die Familie S. beschreibt die Nachbarin wie folgt: In Rudolf S. Garage fĂ€nden vor allem seit dem Ausbruch der Coronapandemie regelmĂ€ĂŸige Treffen statt, es werde oft ab Mittag getrunken. Richter Kötter vergleicht es mit einem „Nachbarschaftstreff“, was die Nachbarin bestĂ€tigt. Die Nachbarin sagt aus, es trĂ€fen sich ĂŒberwiegend dieselben MĂ€nner, ab und an auch Daniel S. Mutter und dessen Bruder. Auch Daniel S. sei öfter dabei gewesen, aber nicht so regelmĂ€ĂŸig wie die anderen. Die Nachbarin hatte nach eigener Aussage ein gutes VerhĂ€ltnis zu Daniel S. und Jessica B. und vor allem zu letzterer ein engeres VerhĂ€ltnis. Sie sei auch mehrfach in deren Wohnung gewesen, jedoch nur im ersten und zweiten Stock – von der Nutzung anderer Geschosse wisse sie nichts.

    Über Jessica B. sagt sie aus, dass diese wĂ€hrend des Einzugs 2022 lange krank gewesen sei und danach einen BĂŒrojob bei einer Firma in Köln bekommen habe. Sie arbeite aber viel im Homeoffice. Das VerhĂ€ltnis zwischen Rudolf S. und dessen Sohn Daniel S. beschreibt sie als „auf den ersten Blick ganz in Ordnung“.

    Zu etwaigen Nachbarschaftskonflikten in der Hofschaft befragt sagt sie aus, dass sich ein „deutscher Nachbar“ ĂŒber Daniel S. Gartenarbeiten zu spĂ€ter Stunde beschwert habe aber auch darĂŒber, dass sie zu laut lache. Zu Konflikten mit italienischen Nachbarn befragt sagt sie, diese hĂ€tten „viel Zeug“ in einem GartenstĂŒck rumliegen, woraufhin Daniel S. ein „Riesenplakat“ mit der Aufschrift „Dieser MĂŒll gehört zur Hausnummer
(*des italienischen Nachbarn)“ aufgehĂ€ngt habe. Die „Leute aus der Garage“ hĂ€tten auch Streit mit dem italienischen Nachbarn gehabt, wohl wegen des Wegerechts.

    Zur politischen Einstellung von Daniel S. befragt, sagt sie zunĂ€chst, dass sie es nicht so genau sagen könne, da sie nie explizit ĂŒber Politik gesprochen hĂ€tten. Es gab aber durchaus „MomenteindrĂŒcke, wo ich dachte: Oha“. Als Beispiel nennt sie Daniel S. Aussage, dass man nicht mehr durch Wuppertal-Oberbarmen gehen könne „wegen der vielen AuslĂ€nder“. Eine weitere Situation aus dem Sommer 2023 habe sie nachhaltig sehr schockiert. Die Nachbarin sei auf ihrer Terrasse gewesen und habe sich laut murmelnd ĂŒber etwas aufgeregt. Daraufhin habe Daniel S., der gerade „furchtbare Musik“ hörend im Garten arbeitete, sie gefragt, was los sei. Als Tipp zur BewĂ€ltigung mit ihrer Unzufriedenheit habe er ihr gesagt „Mach das so wie ich. Ich mache mir hier Musik aus der NS-Zeit an. Das hat im Dritten Reich funktioniert und das funktioniert auch jetzt. Das hat Struktur.“ Die Nachbarin sei zu schockiert gewesen und habe ihn nicht weiter damit konfrontiert.

    Kötter fragt sie, ob sie das Lied habe identifizieren können. Sie verneint und sagt aus, die Polizei habe ihr bei ihrer Befragung das Lied „Erika“ vorgespielt, was es nicht gewesen sei. Text habe sie auch nicht verstehen können aber Daniel S. habe es selbst als „NS-Schlager“ bezeichnet. Richter Kötter fragt weiter, ob das „Verhalten oder Tun“ von Daniel S. damit in Einklang zu bringen sei, dass er „auslĂ€nderfeindlich“ gesinnt sei. Das kann die Nachbarin nicht beurteilen, habe ihn aber auch nie mit Migranten erlebt.

    Zu Daniel S. Umfeld und deren politischer Einstellung befragt, sagt sie aus, dass Jessica B.s Schwester fĂŒr die SPD im Bundestag ist – Jessica B. sei darĂŒber begeistert gewesen aber ihres Eindrucks nach generell eher unpolitisch. Es gĂ€be immer wieder „kleinere Sachen“, die ihr auffielen. Zum Beispiel habe Rudolf S. ihr mal beim Arbeiten in der Garage stolz gesagt, nachdem sie ihn dafĂŒr gelobt hatte, wie fleißig er sei: „Ein deutscher Mann arbeitet“. Auch bei den nachbarschaftlichen Treffen in der Garage ginge es öfter um „AuslĂ€nderdebatten“. Ein Mal zum Beispiel hĂ€tten sie sich sehr darĂŒber gefreut, dass bei einem Betrugsfall eines ReisebĂŒros Kunden betrogen worden seien. Das habe vor allem tĂŒrkische Menschen getroffen, „da haben sich alle die HĂ€nde gerieben, dass AuslĂ€nder Geld verloren haben.“ Richter Kötter beendet den Exkurs zum Umfeld mit der Feststellung, dass es sich dabei aber wohl eher um so „Stammtischparolenmanieren“ handele.

    War Jessica B. doch Mitwisserin ĂŒber Daniel S. Brandanschlag in der Normannenstraße?

    Richter Kötter fragt weiter, wie es in der Hofschaft nach der Verhaftung von Daniel S. gewesen sei. Die Nachbarin sagt, dass die Polizei und der WDR dagewesen seien, generell „viel Trubel“. Jessica B. sei sehr aufgelöst gewesen. Ein bis zwei Tage nach der Verhaftung habe die Nachbarin Jessica B. deshalb mit in ihre Wohnung genommen, wo sie sich ihr offenbart habe: Jessica B. erzĂ€hlte ihr, dass sie auf der Polizeiwache Videos von Daniel S. nach der Tat gesehen habe. In der Tatzeit sei er nicht zu Hause gewesen. FĂŒr sie stehe fest, dass er es war. Er habe generell viel geklaut und gelogen. Jessica B. habe der Nachbarin auch gestanden, dass das Haus, in dem sie vorher in Wuppertal gewohnt hatte, auch gebrannt hat.

    Jessica B. habe sich gewundert, dass Daniel S. kurz vor dem Brand großen Druck auf sie ausgeĂŒbt habe, ihre Sachen aus der Wohnung zu holen. Sie habe dann spĂ€ter von dem Brand erfahren und ihn damit konfrontiert, woraufhin er ihr gegenĂŒber der Brandlegung gestanden habe. Daraufhin habe sie ihm gesagt „Mach das nie wieder. Dabei hĂ€tten Menschen sterben können.“ (*Anmerkung: An dieser Stelle widersprechen sich die gerichtlichen Aussagen von Jessica B. im letzten Verhandlungstag und den Aussagen der Nachbarin. Siehe Prozessbericht 18: https://adaletsolingen.org/2025/07/17/15-juli-2025-sitzung-18/).

    Nach diesem GestĂ€ndnis war die Nachbarin im Urlaub und sehr durcheinander. Als sie nach ihrer RĂŒckkehr gesehen habe, dass in der Hofschaft das Leben weiterging, als sei nichts gewesen, habe sie auch so weitergemacht und sich mit dem Wissen nicht an die Polizei gewandt. Als sie dann aber in der Presse gesehen habe, dass der Brandanschlag in der Normannenstraße kein Anklagepunkt gegen Daniel S. ist, sei das der Grund fĂŒr sie gewesen, aktiv zu werden.

    Druck und Beeinflussungsversuche auf die Nachbarin seitens Jessica B. und der Frau von Marcel L.

    Zur Mitwisserschaft von Jessica B. befragt, stockt die Nachbarin öfter und wirkt verunsichert und aufgeregt, sie bittet um ein Glas Wasser. Dann erzĂ€hlt sie, dass sie in der letzten Nacht kaum geschlafen habe, weil ihr am spĂ€ten Abend vor der Vernehmung im Gericht von einer Nachbarin ein Brief von Jessica B. durch ihre Katzenklappe zugesteckt worden sei, wobei die Klappe beschĂ€digt worden war. In Panik hatte sie die Polizei gerufen und sei zu ihrer Tochter gebracht worden. Sie ĂŒbergibt den Brief an Richter Kötter – die Sitzung wird kurz unterbrochen.

    In der Unterbrechung lĂ€sst sich eine Situation im Gang vor dem Gerichtssaal beobachten: Staatsanwalt Bona und Jochen Ohliger, Daniel S. Wahlverteidiger, sprechen miteinander. Bona zu Daniel S. Anwalt: „Das kriegen wir zusammen hin“. Eine unbeteiligte Dritte reagiert darauf mit: „Jo, das ist klar, dass ihr das zusammen hinkriegt.“ Bona: „Das hat nichts hiermit zu tun, nur dass hier keine MissverstĂ€ndnisse entstehen.“

    Nach der Unterbrechung wird der Brief von Kötter vorgelesen (Anmerkung: Da den Prozessbeobachter*innen der Brief nicht vorliegt, folgen Direktaussagen und Wortlaute).

    „Hallo (Name der Nachbarin), da du auf mein Klopfen und Klingeln nicht reagierst, schreibe ich dir diesen Brief. Bis vor ein paar Tagen war mir die Tragweite dessen, was du bei der Polizei ausgesagt hast, nicht bewusst.“ „Du hast da ĂŒbelst was durcheinandergeworfen.“ Sie habe „Gulasch“, „Komisches vor allem Falsches“ erzĂ€hlt. „Du hast an dem Abend ne halbe Flasche JĂ€germeister gesoffen.“ Das „Mach das nie wieder“ seitens Jessica B. gegenĂŒber Daniel S. sei nicht auf die Brandstiftung in der Normannenstraße bezogen, sondern bezogen auf BetrĂŒgereien seinerseits unter ihrem Namen. „Das mit Daniel und den Liedern aus der NS-Zeit
“: Dass „Marschmusik einen beim Arbeiten antreibt“ bedeute nicht, dass es den NS glorifiziere. Ihre gemeinsamen Freunde seien sich darin auch einig. „Dass du mit der Polizei sprichst, ohne mal mit mir zu reden
“, „Das ergibt alles keinen Sinn, das macht mich alles einfach nur traurig.“ „Das ist eine ganz schĂ€bige Aktion.“ „Deine tĂ€gliche Dosis Alkohol
“, „Dass man dem Daniel jetzt nun doch den Nazi bzw. Rechtsstempel aufdrĂŒckt, ist das dein Ziel?“, „Du hast mir gesagt, dass du weißt, dass Daniel kein Rechter ist.“ „Ich glaube, dir ist nicht bewusst, was du tust oder du bist einfach nur gemein und hast es nicht gerafft.“

    Nach der Verlesung des Briefes sagt die Nachbarin dazu: „Als sie mir erzĂ€hlt hat, dass das Haus in Wuppertal auch gebrannt hat, da hab ich keineswegs Alkohol getrunken.“ – das sei 1-2 Tage nach Daniel S. Verhaftung gewesen. Erst 2-3 Wochen danach sei der besagte Abend gewesen, an dem sie JĂ€germeister getrunken hatte. Jessica B. habe ihr an diesem Abend generell viel von Daniel S. erzĂ€hlt, – unter anderem, dass er ein ganz lieber Kerl sei und „mit Rechts nicht zu tun habe“. An dem Abend habe die Nachbarin Jessica B. nicht widersprochen, weil beide alkoholisiert waren, ihr dann aber am nĂ€chsten Tag gesagt, sie habe da eine andere Wahrnehmung.

    Staatsanwalt Bona fragt: Glauben Sie, dass Daniel ein Rechter ist? Die Nachbarin sagt aus, das könne sie nicht genau sagen. Aber, wenn jemand NS-Lieder hört, mĂŒsse man ja erstmal auf die Idee kommen, da bewusst nach zu suchen. „Da interpretier ich schon, dass er das gut fand.“

    Bona will wissen, mit wem die Nachbarin vor ihrer Aussage beim Gericht gesprochen habe. Sie gibt an, sie habe mit einem Bekannten von ihr gesprochen, dessen Namen sie nach Aufforderung Bonas auch namentlich nennt. Er fragt weiter: Was haben Sie dem gesagt? Sie gibt an, dass sie ihrem Bekannten das erzĂ€hlt habe, was ihr von Jessica B. gestanden worden sei, und beide seien zum Ergebnis gekommen: „Wenn ich dann einfach zur Polizei gehe, dann steh ich als die da, die die Hofschaft anschwĂ€rzt.“

    Bona fragt mehrfach nach, mit wem sie vorher noch gesprochen hat, und fragt direkt nach einer Person mit Namen. Die Nachbarin gibt an, diese Person habe nur einen Kontakt zur Zeitung taz hergestellt. Bona weiter: Hat die taz Ihnen denn gesagt, gehen Sie zur Polizei? Nachbarin: verneint, die taz habe nur einen Artikel veröffentlicht. Bona: Wieso sind Sie dann doch zur Polizei gegangen? „Weil es um Menschenleben geht, und ich konnte es einfach nicht mehr aushalten.“ Sie habe gedacht, dass Polizei durch die Medien darauf aufmerksam wird. Das sei aber nicht so gewesen, sie sei nicht angesprochen worden.

    Bona hakt weiter nach und betont, diese Inhalte seien monatelang durch die Medien gegangen. Dann fragt er die Zeugin, ob sie die Musik im Garten als NS-Musik zuordnen konnte. Sie verneint aber und sagt erneut aus, Daniel S. habe ihr das gesagt und sie habe ihm geglaubt: „Er hat gesagt, dass es Musik aus der NS-Zeit ist.“ Ihr sei der genaue Wortlaut noch genau in Erinnerung.

    Bona wiederum: Hat sie jemand beeinflusst mit der Polizei zu sprechen? Die Nachbarin: „Nein, eher im Gegenteil“ Sie wurde eher zur Vorsicht aufgerufen. „Ich möchte mich von niemanden vor den Karren spannen lassen.“ Daraufhin lĂ€sst Bona von dem Thema ab. (Anmerkung: AuffĂ€llig ist an dieser Stelle, dass der Staatsanwalt – wohlgemerkt nicht die Verteidigung des TĂ€ters – offensichtlich nur daran interessiert ist, eine mögliche Vorab-Beeinflussung der Zeugin hinsichtlich eines rassistischen Tatmotivs herauszuarbeiten. Die bedrohliche EinschĂŒchterung mit Brief und beschĂ€digter Katzenklappe ist fĂŒr ihn in der Befragung ebensowenig Thema wie die NS-Glorifizierung des TĂ€ters.)

    Kötter fragt sie, ob sie glaube, dass Daniel S. krank sei, da dies in ihrer polizeilichen Aussage wie folgt notiert worden sei: „Ich weiß nicht, ob Daniel ein Rechtsextremer ist, aber ich denke, der Mann ist krank.“ Die Nachbarin dementiert: „Das habe ich gar nicht gesagt. Der Staatsschutz hat das aufgeschrieben, aber ich habe nichts gesagt, weil ich niemandem was unterstelle.“ Sie habe sich schon wĂ€hrenddessen darĂŒber gewundert, dass der Vernehmende des Staatschutzes diesen Satz ergĂ€nzt hatte, dachte sich aber, dass mal so stehen zu lassen. Sie sei Sozialarbeiterin im Drogenbereich gewesen und aus ihrer Arbeit sei ihr, Daniel S. „starre Mimik“ und sein stockender Gang auffĂ€llig vorgekommen. Sie hatte den Eindruck: „Da stimmt was nicht, Da ist irgendwas.“

    Das Umfeld des TĂ€ters: Freund und Nachbar des TĂ€ters bei IdentitĂ€ren und AfD-Demos, Bruder des TĂ€ters laut dessen LebensgefĂ€hrtin ein „Nazi“

    Andrea Groß-Bölting (Vertretung fĂŒr Basay-Yildiz) fragt sie nach den Personen aus der Garage des Vaters und ob sie diese identifizieren könne. Die Nachbarin gibt zu Protokoll, dass Rudolf S. (Vater des TĂ€ters), Raimund (Onkel des TĂ€ters), ein Wölli und ein Stefan regelmĂ€ĂŸig da seien. Groß-Bölting fragt, ob auch Marcel L. öfter dabei sei und wenn ja, wie hĂ€ufig. Laut Nachbarin „eher nicht“ aber „vielleicht hat er mal dazugestanden“. Weiter beschreibt sie, dass „Rudi“ (Vater) ein „stĂŒckchenweiter“ mehrere Garagen und ein StĂŒck Wiese gehörten. Im Sommer habe es da mal Treffen gegeben, es wurde gegrillt, Jessica und Daniel seien da gewesen, die Zeugin selbst auch und und generell „viele Leute“: „Es ging lustig zu“. Auch Marcel sei dabei gewesen – das sei ihr ganz deutlich in Erinnerung, da er ihr Lachen so ansteckend gefunden hatte.

    Auf Nachfrage bestĂ€tigt die Nachbarin, dass Daniel S. Kontakt zu Marcel L. hatte und sagt, dass er ein Freund des Paares ist. DarĂŒber hinaus berichtet sie, dass am Abend zuvor (24.7.2025) Marcel L. zu ihr gekommen sei, nachdem die Katzenklappe kaputt gemacht und der Brief bei ihr eingeworfen worden war. Er entschuldigte sich bei ihr dafĂŒr und sagte, nicht Jessica B. habe den Brief gewaltvoll durch die Katzenklappe gezwĂ€ngt, sondern seine Frau.

    Groß-Bölting fragt die Zeugin, ob sie die politische Haltung von Marcel L. kenne. Sie antwortet: „Ja allerdings. Wir haben viel diskutiert, der wollte mir immer so ,identitĂ€re Ideen‘ mit auf den Weg geben, wollte mich davon ĂŒberzeugen.“ Er sei auch auf einer Demo von AfD und IdentitĂ€ren gewesen: „weiß ich, weil ich auf der Gegendemo war.“ Die Frage, ob sie mitgekommen hat, dass Daniel mal etwas zu Marcels politischer Haltung gesagt habe, verneint sie.

    An diesem Punkt steigt die Verteidigung des TĂ€ters ein: Ohliger zur Nebenklagevertreterin „Was soll das? Was machen wir hier eigentlich?“. Daraufhin fragt Kötter Groß-Bölting, ob sie in der Unterbrechung mit Verfahrensbeteiligten gesprochen habe. Diese verneint und macht deutlich, dass sie als ihre Vertretung von Basay -Yildiz selbstverstĂ€ndlich die Informationen aus den Ermittlungsakten studiert habe und sie nun mit ihren Fragen an die Zeugin weiterfortfahren möchte.

    Sie fragt, ob diese den Namen von Marcel L. bei ihrer Aussage bei der Polizei erwĂ€hnt habe. Die Nachbarin verneint. Weiter fragt sie, was sie gefĂŒhlt habe, als sie den Brief bekommen hat. Die Nachbarin: „Wenn mir jemand die Katzenklappe kaputt macht, um mir einen Brief einzuwerfen – da krieg ich Angst.“ Sie habe Panik bekommen und nicht gewusst, wen sie so spĂ€t noch anrufen könne und was sie machen solle. Daraufhin hatte sie die Polizei gerufen. Sie verstehe, dass Jessica enttĂ€uscht sei, „weil sie mir Sachen erzĂ€hlt hat, von denen sie nicht dachte, dass sie sie weitererzĂ€hle“ und weiter „Jessica möchte den Daniel natĂŒrlich schĂŒtzen.“ Jessica B.‘s Zuschreibung, dass sie Alkoholikerin sei, widerspricht sie.

    Auf die Frage, ob sie den Eindruck habe, dass der Brief sie fĂŒr ihre heutige Aussage beeinflussen sollte, bestĂ€tigt sie: „Im ersten Moment hatte ich das, das hat auch meine Panik verstĂ€rkt.“

    Antonakis fragt, wieso sie sich damals nicht gleich an die Polizei gewandt hat. Die Nachbarin: „Ich war völlig kopflos. Der hilfsbereite Daniel, der mir BlĂŒmchen bringt, bringt Menschen um.“ Nach ihrem Urlaub habe sie in der Nachbarschaft / Hofschaft festgestellt, dass alles seinen Gang ging, als sei nichts passiert. Dann habe sie auch weitergemacht.

    Nebenklagevertreter Radovslav Radovslavov fragt nach dem Treffen in der Garage und weiteren Familienangehörigen. Die Nachbarin erzĂ€hlt von Daniel S. Bruder namens David, der nicht da wohne aber seit der Verhaftung öfter da sei. Sie habe ihn seitdem mehrmals erlebt – „hochaggressiv, vor allem Jessica gegenĂŒber“. An dem JĂ€germeister-Abend habe ihr Jessica B. gesagt „Der Daniel hat mit rechts nichts zu tun. Aber der David, das ist ein Nazi.“ Die Zeugin sagt aus, dass sie sich das „vom Ă€ußeren Erscheinungsbild“ durchaus vorstellen könne „aber nicht jeder, der eine Glatze hat, ist ein Nazi.“ Sie habe allerdings einmal live erlebt, wie er „völlig ausgetickt“ sei und Jessica beschimpft habe. Es ging um eine kranke Taube auf ihrer Terrasse, die aus Jessica B.s und ihrer Sicht nicht mehr zu retten gewesen sei. Daraufhin habe Jessica B. den Vater Rudolf S. angerufen. Plötzlich sei David S. angerannt gekommen, mit einem „hochaggressiven Ausdruck“ und habe Jessica als „Fotze“ beleidigt und daraufhin mit bloßen HĂ€nden, der Taube „den Hals umgedreht“.

    Damit endet die Befragung der Zeugin, ohne dass der Bruder, den die LebensgefĂ€hrtin des TĂ€ters als „Nazi“ bezeichnet, auch nur irgendwie thematisiert wird oder in diese Richtung weitere Fragen gestellt werden.

    Ohne, dass der Zusammenhang fĂŒr Zuschauende klar wird, werden Bilder aus verschiedenen Akten gezeigt. Unter anderem Fotos aus der verbrannten Wohnung in der GrĂŒnewalderstraße mit zensierten Stellen (Balken vor vermutlichen Leichnamen) und einem verkohlten Kinderbett – ohne Vorwarnung und in Anwesenheit der Eltern und Großeltern der Ermordeten sowie Überlebenden.

    Unkommentiert werden auch Fotoaufnahmen aus der Hausdurchsuchung bei dem TĂ€ter gezeigt, darunter diverse Waffen (Macheten, mind. eine Langwaffe und mind. drei Handfeuerwaffen, Chemikalien und Benzinkanister) sowie Fotos aus dem Keller mit dem sog. Lied eines Asylbewerbers, dessen Verbreitung wegen Volksverhetzung strafbar ist. Dieses wird in diesem Zusammenhang laut verlesen.

    Auswertung von Audio-Dateien auf Festplatte von Daniel S., Nebenklagevertreterin dazu: „Es wĂ€re wĂŒnschenswert, wenn jemand mit der Auswertung betraut wĂŒrde, der wissenschaftliche Kenntnisse zu Rechtsextremismus hat“

    Des Weiteren liest Richter Kötter einen Vermerk von Kriminalinspektion KK 11 (Tötungs-, Brand- und Waffendelikte) im Auftrag des Staatsschutzes zu Audiodatei-Auswertung vom 3.6.2025 vor. Dieser habe 1333 Treffer gefunden, primĂ€r Techno, Deutschrap, Rock, der ĂŒberwiegende Großteil sei unpolitisch, 12 Titel seien nicht abspielbar gewesen „aber vom Titel her unauffĂ€llig“. Vier Titel seien „PMK-Relevant“ (politische motivierte KriminalitĂ€t): Adolf Hitler Remix, Aggro Berlin Nazi Tot, Erika „Plus“ (*Anmerkung: Im Vortrag wird es als „Plus“ gelesen, spĂ€ter stellt sich durch die Nebenklagevertretung heraus, dass es sich bei dem „Plus“ um ein Eisernes Kreuz-Emoji handelt) sowie zwei Audio-Fassungen von Charlie Chaplins Abschlussrede aus „Der große Diktator“.

    Bewertung KK11 zu „Adolf Hitler-Hip Hop Remix“: Ausschnitte aus Reden Hitlers „Wollt ihr den totalen Krieg“ und Hitlers Rufen „Sieg“ und der antwortenden Menge „Heil“ mit Hip Hop hinterlegt. Bewertung des Ermittlers dazu: In diesem Lied seien nur BruchstĂŒcke mit Musik hinterlegt worden, eine zusĂ€tzliche Botschaft sei nicht zu entnehmen, es ginge eher um eine Stimmung.

    Bewertung KK11 zu „Aggro Berlin Nazi tot“: Das Lied wird dem Deutschrapper Kaisa zugeordnet. Der Track wird vom Staatsschutz als „gewaltverherrlichend gegenĂŒber Rechtsextremen“ und eher „linksradikal“ eingestuft (*Anmerkung: Der Rapper Kaisa ist wegen seiner homophoben und antisemitischen sowie holocaustleugnenden und verschwörungsideologischen Lyrics und Aussagen seit einigen Jahren bei Rechtsextremen beliebt. Um dies herauszufinden, benötigt es keinerlei kriminologischer Kompetenz, sondern lediglich zwei Google-Suchen und der LektĂŒre des Wikipedia-Beitrags des Rappers. Siehe unter anderem hier: https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/debatte/kommentare/des-kaisers-alte-kleider)

    Bewertung KK11 zu Charlie Chaplins Rede aus ,Der große Diktator‘: dieses liegt in zwei Fassungen und mehrfachen Kopien vor, ein Mal der Auszug Chaplins Abschlussrede aus dem Film und eine Fassung, die mit Hans Zimmers „Time“ hinterlegt ist.

    Bewertung KK11 zu „Erika ,Eisernes Kreuz-Emoji‘“: es handele sich dabei um ein Wehrmachtslied von 1938, dass durchaus zur NS-Propaganda genutzt wurde aber keine explizit rassistischen Textinhalte hat, „Heimatverbundenheit und Tapferkeit im Sinne des NS“ ist Bestandteil des Liedes und es handele sich bis heute um ein „umstrittendes aber bekanntes deutsches Kulturgut“ und Teil der zeitgenössischen Popkultur, da es in Sozialen Medien in den letzten Jahren hĂ€ufiger erscheine. Motiv am Besitz des Liedes könne „kulturhistorisches oder militĂ€rhistorisches Interesse“ gewesen sein.

    Fazit des Staatsschutzes: Es sei „keine politische Gesinnung“ abzuleiten, es handele sich auch nur um vier von 1333 Treffer, die nicht homogen-politisch seien.

    Groß-Bölting weist auf die gravierenden Unterschiede in der Recherche und Bewertung von bspw. Taten im islamistischen Bereich im Gegensatz zum Umgang mit diesem Fall hin und spricht von „bemerkenswerten BemĂŒhungen das kleinzureden, was auf rechte Ideologie hinweist“ und weiter „Adolf Hitler soll keine Bedeutung haben oder vermeintlich ironisch sein.“ Dazu drĂŒckt sie ihr UnverstĂ€ndnis darĂŒber aus, dass die Polizei keine Ahnung habe, wie Rechte agieren und keinerlei Kenntnisse darĂŒber, wie in rechten Kreisen mit Symboliken gearbeitet wird. So handele es sich bei der Audio-Datei nicht um „Erika +“ wie „Plus“ verlesen, sondern um ein Eisernes-Kreuz-Emoji. „Es wĂ€re wĂŒnschenswert, wenn jemand mit der Auswertung betraut wĂŒrde, der wissenschaftliche Kenntnisse zu Rechtsextremismus habe“

    Anschließend werden AuszĂŒge aus dem Bundeszentralregister des TĂ€ters werden verlesen: UrteilssprĂŒche in Hagen und dem Amtsgericht Solingen wegen Unterschlagung und Diebstahl geringfĂŒgiger Sachen im Zeitraum 2018 und 2020. Richter Kötter gibt anschließenend Baßay-Yıldızs Antrag auf ihr 45–60-minĂŒtiges AbschlussplĂ€doyer am Tag der UrteilsverkĂŒndung (30.7.2025) statt, fĂŒr das sie fĂŒr einen Tag aus ihrem Urlaub anreisen wird. Die Verteidigung des Angeklagten meldet sich daraufhin zu Wort und beantragt, statt an dem fĂŒr die PlĂ€doyers vorgesehenen Montag, ebenfalls am Tag der UrteilsverkĂŒndung zu sprechen. Insbesondere Ohliger sei wichtig, nach Baßay-Yıldız sein AbschlussplĂ€doyer zu halten. Radovslavov fragt, ob es zu einer Nachverhandlung zum Brandanschlag in der Normannenstraße kommen wird, worauf Staatsanwalt Bona entgegnet, dass dies nicht im Rahmen dieser Verhandlung erfolgen wird.

    Abschlussaussage des psychologischen Gutachters Prof. Dr. Faustmann

    Dieser beginnt damit, dass es keine neuen Aspekte gĂ€be, die aus Daniel S. „Netzverhalten“ als auch seiner Beobachtung der letzten Prozesstagen zu lesen sei. (*Anmerkung: Bemerkenswert ist, dass sich der Gutachter in seinen anschließenden AusfĂŒhrungen ausschließlich auf eine Zusammenstellung von Informationen der Polizei stĂŒtzt und sich in seiner Bewertung der politischen Komponente lediglich auf Datenfunde von 2017 mit rechtsextremen BezĂŒgen bezieht. Keine Rolle spielen aktuellere Chat-VerlĂ€ufe, in denen Daniel S. den Wunsch Ă€ußerte, dass sich „AuslĂ€nder“ an Silvester „wegböllern“ (Artikel von ND) sowie Youtube-Abrufe von AfD- und Wehrmachtsliedern oder eindeutige Google-Suchanfragen seitens des TĂ€ters (Vgl. vergangene Prozessberichte))

    Daniel S. habe eine Verhaltensstörung durch jahrelangen Amphetaminkonsum. Seit dem 12.-13. Lebensjahr konsumiere er Cannabis und relativ kurz danach auch Amphetamine: „sehr hoch, sehr viel ohne Ausfallserscheinung, nahezu tĂ€glicher Konsum und hohe Toleranzgrenze“. In den Jahren 2005/6, dann 2008/2009, 2013/2014 hatte er Klinik-/Reha-Aufenthalte, die er alle abgebrochen hat.

    Weiter gibt der Gutachter zu Protokoll, Daniel S. habe an dem psychologischen Gutachten mitgewirkt. Die psychosozialen Auswirkungen des Drogenkonsums seien unter anderem, dass eine „berufliche TĂ€tigkeit nicht mehr festzustellen sei“ und er eine „gewisse Unzufriedenheit und Langeweile“ aufweise, „wenig emotional, sehr sachlich“ sei. Das „Selbstkonzept“ des TĂ€ters sei ein „Streben nach Autarkie“, das in beruflicher und partnerschaftlicher Interaktion nicht erfĂŒllt worden sei. Weiteres Element seines „Selbstkonzeptes“ sei es, „sich selbst durch die Abwertung anderer zu stĂ€rken“ – eine Identifikation mit den StĂ€rken anderer und gleichzeitige Abwertung anderer sei stark bei ihm ausgeprĂ€gt.

    Zur politischen Einstellung des TĂ€ters aus psychiatrischer Sicht sagt er aus, dass der erste Aspekt von Daniel S. Strategien sei, sich selbst in der StĂ€rke von SS-Offizieren und NS-Bildern zu sehen. Von „Identifikation“ zu sprechen, „wĂ€re zu stark“. Ein zweiter Aspekt, sei das Prinzip, sich selbst ĂŒber andere zu stellen und andere „auf Grund von Hautfarbe sowie jĂŒdischer und muslimischer Religion“ abzuwerten. Eine „handlungsleitende Funktion“ oder unmittelbare BezĂŒge zur Tat seien dem allerdings nicht zu entnehmen. Er könne keine unmittelbare Ableitung aus psychiatrischer Sicht vornehmen. Es sei eher durch „persönliche Belastungserfahrungen“ zu erklĂ€ren, dass sich der TĂ€ter sich sozial zurĂŒckgezogen und in eine „regressive SelbstbeschĂ€ftigung hin zur selbstbestĂ€tigenden Handlung“ begeben habe. Dies liege „viel tiefer“ als „bestimmten Menschen Schaden zuzufĂŒgen“. Er sei in Beziehungen belastet gewesen, seine Partnerinnen hĂ€tten zu seiner Idealisierung geneigt und er habe nicht genĂŒgend StabilitĂ€t in diesen Beziehungen bekommen. Daher habe er eine „Selbststabilisierung durch Objekt-Abwertung“ und „Kompensation gegen Dinge, nicht unmittelbar gegen Menschen“ gefunden.

    Bona fragt, ob Objektabwertung in diesem Zusammenhang auch „Menschen“ bedeute. Gutachter: Objekt bedeute hier auch Personen, welche Bedeutung das Wissen um die Anwesenheit von Menschen in den HĂ€usern wĂ€hrend der Brandlegung fĂŒr den TĂ€ter spielte, ließe sich nicht abschließend klĂ€ren. Es sei auch in Betracht zu ziehen, dass es sich auch um eine Überhöhung durch das HinzufĂŒgen von Schaden an den Bewohner*innen handele, er habe diesen Aspekt aber in der Begutachtung nicht klĂ€ren könne. (Anmerkung: Wenn es dem TĂ€ter nicht um das Ermorden von Menschen ging, wieso hat er dann in der Normannenstraße die AusgĂ€nge versperrt?)

    Bona Ă€ußert, dass die Tatorte aus seiner Sicht nicht aus „auslĂ€nderfeindlichen Motiven“ ausgewĂ€hlt worden seien. Da im Haus in der Solinger Josefstraße (* ebenfalls Brandanschlag durch Daniel S.) eine Familie mit einem deutschen Namen wohnte, sei ein „auslĂ€nderfeindliches Motiv widerlegt“. Gutachter: Es handele sich bei den Tatorten um „Orte der eigenen Biografie“ des TĂ€ters und dadurch in einer BewĂ€ltigung einer zurĂŒckliegenden KrĂ€nkung des eigenen Selbst. Abschließendes Wissen um die „Empfindsamkeit“ des TĂ€ters fehle.

    Bona: WĂ€re nicht eine intensivere BeschĂ€ftigung mit rechtsextremen Inhalten – nicht nur im Tatzeitraum von zwei Jahren (2022 und 2024) und eine BeschĂ€ftigung mit NS-Inhalten im „Promillebereich“ – bei einer Radikalisierung erwartbar? Er fĂŒhrt aus, dass er sich auch mal intensiv mit Motiven zu BrandanschlĂ€gen beschĂ€ftigt habe: In den meisten FĂ€llen handele es sich seines Wissens um Pyromanie, Versicherungsbetrug und psychische Störungen.

    Der Gutachter pflichtet dem bei, dass er – entgegen anderer FĂ€lle extrem rechten Terrors, die er verfolgt habe – Daniel S. als „ruhigen, stillen Menschen“ wahrnehme, der „in sich selbst sehr verletzbar“ sei. Es handele sich bei ihm um eine BewĂ€ltigung, keine Radikalisierung z.B. im Darknet. (*Anmerkung: Wohlgemerkt, kaufte der TĂ€ter wie viele andere extrem rechte Terroristen Schusswaffen im Darknet, was hinsichtlich einer Bewertung seiner Radikalisierungstendenz anscheinend keine Rolle spielt.)

    Bona findet, dass sich Motive zur Brandstiftung hĂ€ufig in einem „AnzĂŒnden zur eigenen Selbststabilisierung“ fĂ€nden. Gutachter pflichtet dem erneut bei und verweist auf Heidelberger-Studien von vor der „letzten Jahrhundertwende“. Es sei nicht das Feuer und nicht die aggressiv-kĂ€mpferischen AnschlĂ€ge, die den TĂ€ter faszinierten, sondern eine „softe Brandlegung“. Radovslavov fragt dazu, wieso der TĂ€ter dann nicht sein eigenes Haus anzĂŒndete, sondern andere HĂ€user? Gutachter: Den TĂ€ter trieb seines Erachtens der „lange Weg und das lange durch die Nacht streifen“ zu den Orten. Er vergleicht dies mit einem Jogger, der sich ĂŒber seine gelaufenen Kilometer selbstvergewissere. Auch die intensive VorbeschĂ€ftigung und Vorbereitung der BrandsĂ€tze diene aus seiner Sicht einem Regressionsabbau „ĂŒber mehrere Stunden.“

    Anschließend werden alle AntrĂ€ge von Baßay-Yıldız seitens des Gerichts abgelehnt. In der Gesamtschau seien die Indizien nicht ausreichend fĂŒr eine Anerkennung einer rassistischen Gesinnung. Die Konflikte mit seinem marokkanischstĂ€mmigen Nachbarn in der Normannenstraße vor dem Brandanschlag als auch mit seinen italienischen Nachbarn in der Hofschaft in Solingen seien „nachbarschaftliche Streitigkeiten“ und nicht durch Rassismus gekennzeichnet. Auch seine Partnerin sowie Ex-Partnerin hĂ€tten keine Kenntnis ĂŒber rassistische Einstellungen des TĂ€ters gehabt – diese hĂ€tte zumindest angedeutet auffallen mĂŒssen. (*Anmerkung: Von Beginn an beobachten wir, dass die Partnerin des TĂ€ters, die sehr wahrscheinlich von dessen Brandstiftung in ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Normannenstraße gewusst hatte und bis heute BeitrĂ€ge aus dem verschwörungsideologischen und extrem rechten Spektrum auf Facebook postet, immer wieder als verlĂ€ssliche Quelle fĂŒr das Gericht bezĂŒglich Daniel S. politischer Gesinnung angefĂŒhrt wird. Dies ist am heutigen Prozesstag besonders befremdlich, nachdem die Nachbarin als Zeugin, nicht nur in der Nacht vor ihrer Aussage von Jessica B. und der Partnerin von Marcel L. eingeschĂŒchtert wurde. Diese sagte auch vor Gericht aus, dass Jessica Daniel S. eindeutig schĂŒtzen möchte. Dennoch bezieht sich das Gericht nach wie vor absolut unkritisch auf ihre positive Darstellung ihres LebensgefĂ€hrten.)

    Auch Baßay-Yıldızs Antrag, eine unabhĂ€ngigere Polizeibehörde mit den Ermittlungen zu dem Fall zu beauftragen, wird abgelehnt.

  • 15. Juli 2025: Sitzung 18

    Zusammenfassung:

    Am 18. Verhandlungstag werden gleich drei Personen als Zeug:innen befragt: Jessica B., die Partnerin vom TĂ€ter Daniel S., seine Ex-Partnerin Luisa Maria P. sowie Alexander S., der ehemalige Vermieter von Jessica B. aus der Normannenstraße in Wuppertal. Außerdem beantragt die Nebenklagevertreterin Seda Baßay-Yıldız, dass die Ermittlungen bzw. Auswertungen der DatentrĂ€ger an eine bislang unbeteiligte Polizeibehörde oder an das Landeskriminalamt NRW abgegeben werden. DarĂŒber hinaus beantragt sie, den wesentlich lĂ€nger als geplant andauernden Prozess fĂŒr drei Wochen zu unterbrechen, da weder sie noch Nebenklagevertreter Fatih Zingal an den finalen Prozessterminen teilnehmen können. Dies hatten sie bereits vor LĂ€ngerem angemeldet. Staatsanwalt Christopher Bona lehnt alle AntrĂ€ge ab. Es wĂ€re ein weiterer Schlag ins Gesicht fĂŒr die Eltern der Ermordeten sowie die Überlebenden des Anschlags, wenn Baßay-Yıldız und Zingal ihre SchlussplĂ€doyers nicht vor Gericht halten könnten. Daneben stellt der geladene BrandsachverstĂ€ndige seine EinschĂ€tzungen zum Brand in der Normannenstraße am 5. Januar in Wuppertal vor. Sein Fazit: Es handele sich eindeutig um Brandlegung, wĂ€hrend es nicht nachvollziehbar sei, warum die Polizei von einem Kabelbrand ausgegangen ist.

    Flurfunk in lockerer Stimmung: Jessica B. und Verteidiger Marc Françoise verstehen sich ĂŒberraschend gut und unterhalten sich ĂŒber „die Antifa“

    Zum Beginn des 18. Verhandlungstags wird Jessica B., die Partnerin von TĂ€ter Daniel S. geladen. Bereits vor ihren Aussagen fĂ€llt ein ungewöhnlich lockeres VerhĂ€ltnis zwischen ihr und dem Verteidiger Marc Françoise auf. Auf dem Gerichtsflur unterhalten sich die beiden vertraut, es ist der GesprĂ€chsfetzen „…die Antifa hat ja so einen Artikel gemacht…“ zu hören. Dies wirft die Frage auf, inwiefern die Aussagen von Jessica B. vor Gericht mit der Verteidigung von Daniel S. abgestimmt sein könnten – denn ihre AusfĂŒhrungen stehen im Widerspruch zu Aussagen einer Nachbarin.

    Zur Tatnacht am 5. Januar 2022 befragt gibt Jessica B. an, dass Daniel S. gegen Mitternacht zu ihr ins Bett gekommen sei. Sie habe ihn nicht danach gefragt, warum er fĂŒr das Abholen von einigen Bildern und Lampen aus ihrer Wohnung in der Wuppertaler Normannenstraße so lange gebraucht hĂ€tte, und gibt weiter an, auch nichts Ungewöhnliches bemerkt zu haben. Kurze Zeit spĂ€ter sei sie wieder eingeschlafen. Sie habe Daniel S. nicht nĂ€her damit konfrontiert, dass er entgegen ihrer Absprachen ĂŒber Stunden nicht erreichbar gewesen sei. Am Morgen des 6. Januar nach der Brandlegung in der Normannenstraße habe Daniel S. ihr einen Online-Bericht zum Brand auf seinem Handy gezeigt, ohne Kommentar zu seiner eigenen Beteiligung. Im Wortlaut sagte sie dazu: “Ich habe mir dabei nichts gedacht, ich wusste ja nichts ĂŒber seine FeueraffinitĂ€t”.

    Harte Aussagen einer Nachbarin: Hat Jessica B. doch gewusst, dass Daniel S. den Brand in der Normannenstraße gelegt hat?

    Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der GlaubwĂŒrdigkeit von Jessica B, da eine vor Gericht vorgelesene Aussage einer Nachbarin ganz anders klingt: Die bislang nicht vor Gericht geladene Nachbarin sagte in der Vergangenheit bei der Polizei aus, dass Jessica B. sich ihr anvertraut habe und ihr mitgeteilt habe, dass Daniel S. die Tat vor ihr gestanden hĂ€tte. Sie habe ihn auch dazu gedrĂ€ngt, noch am Tag der Brandlegung schnell die letzten Sachen aus der Wohnung zu holen: “Ich hoffe du startest, alles anderes wĂ€re völlig ĂŒberzogen fĂŒr das was du vorhast. Love you anyway!“

    Desweiteren habe die Nachbarin davon berichtet, dass Jessica B. ihr davon erzĂ€hlt habe, ”was der Daniel alles fĂŒr BetrĂŒgereien gemacht hat”. Und weiter: “Sie hat ihn darauf [auf den Brand] angesprochen, er hat es zugegeben”. Daraufhin habe Jessica B. zu Daniel S. gesagt: „Mach sowas nie wieder, da könnten Menschen sterben.“ Bei der Konfrontation mit diesen Aussagen sagt Jessica B. vor Gericht, dass die Nachbarin da etwas falsch verstanden habe, doch auf Nachfrage rĂ€umt sie ein, ein gutes VerhĂ€ltnis zur Nachbarin gehabt zu haben und sich teilweise von ihr getröstet gefĂŒhlt zu haben – von einer Freundschaft wolle sie dennoch nicht sprechen. Damit ist kein Motiv erkennbar, warum die Aussagen der Nachbarin ĂŒber Jessica B. und Daniel S. nicht wahrheitsgemĂ€ĂŸ sein sollten. Jessica B. schildert weiter, dass es bereits vor dem Einzug von Daniel S. in ihre Wohnung in die Normannenstraße zu Nachbarschaftskonflikten gekommen war – vor allem aufgrund lauter Musik und eines Nachbarn, der sich vermeintlich “zum Hausmeister aufgespielt” habe.

    Auf Nachfrage von Richter Kötter erklĂ€rt Jessica B., dass sie SchlĂŒssel zu Wohnung und Keller gehabt habe und es möglich gewesen sei, durch eine TĂŒr zur Straße hin von außen in den Keller zu gelangen. Dies war nach Aussagen eines Überlebenden und Bewohner des Hauses (vgl. Sitzung 16) zwar in der Vergangenheit möglich, wenige Wochen vor dem Brandanschlag wurden jedoch die Schlösser der KellertĂŒr ausgetauscht, wodurch ein wichtiger Fluchtweg am Abend des 5. Januar 2022 verhindert worden war. Dieser offensichtliche Widerspruch wurde in der Verhandlung nicht weiter aufgegriffen.

    Extremer Drogenkonsum und rassistische Aussagen: Jessica B. und eine Nachbarin geben Einblicke in den Alltag von Daniel S.

    Jessica B. beschreibt den Drogenkonsum von Daniel S. als “extrem”: Er sei lange wach und nachtaktiv gewesen, habe aber auch tagelang nur geschlafen und sich bei Erledigungen hĂ€ufig total verzettelt. Er habe oft nicht still sitzen können und auch am Tag des Brandes bereits am Mittag Amphetamin konsumiert. Zwar habe sie ihm geraten, das zu lassen, es habe jedoch keinen Streit darĂŒber gegeben, da sie das nicht als Hauptproblem in der Beziehung gesehen habe. Auf die Frage, ob sich Daniel S. Verhalten nach dem Brand verĂ€ndert habe, berichtet sie, dass er drei Tage lang geschlafen habe – dies sei allerdings auch zuvor bereits vorgekommen.

    Baßay-Yıldız konfrontiert Jessica B. mit weiteren Angaben der bereits zuvor zitierten Nachbarin. Diese habe bei der Polizei ausgesagt, dass Daniel S. habe im Garten laut NS-Musik gehört habe. Von ihr darauf angesprochen, habe er gesagt: „Das hat damals funktioniert, das geht auch nochmal“. DarĂŒber hinaus habe er auch mal gesagt, dass man in Oberbarmen kaum noch auf die Straße könne, weil es zu viele AuslĂ€nder gĂ€be. Jessica B. gibt daraufhin an, davon nichts mitbekommen zu haben. Ob dies glaubhaft ist, bleibt offen.

    Der Vermieter der Wohnung in der Normannenstraße kann nicht viel zur Brandursache sagen

    Nach Jessica B. wird Alexander S. befragt, der EigentĂŒmer der Wohnung in der Normannenstraße und damalige Vermieter von Jessica B. Er habe die Wohnung Anfang 2021 gekauft, als sie dort bereits gewohnt hat. Die Miete sei unregelmĂ€ĂŸig gezahlt worden, direkten Kontakt zu ihr habe er nie gehabt, sondern nur ĂŒber die Hausverwaltung. Daniel S. war ihm nicht bekannt.

    Beschwerden im Haus seien ihm erst nach dem Brandanschlag ĂŒber die Hausverwaltung zugetragen worden. Nach dem Brand standen die Fenster in der Wohnung von Jessica B. ĂŒber Tage offen, woraufhin die WohnungstĂŒr aufgebrochen wurde. Dabei zeigte sich, dass die Wohnung in einem Zustand war, der an ein „MietnomadenverhĂ€ltnis“ erinnert habe. Nach einer schriftlichen KĂŒndigung der Wohnung durch Jessica B. sei jeglicher Kontakt zu ihr abgebrochen, die SchlĂŒssel habe er nie gesehen. Über den Brand sei Alexander S. von der Hausverwaltung informiert worden. Als Grund wurden ihm veraltete Elektroinstallationen im Keller genannt, die nach dem Brand erneuert worden seien. Von der Polizei hingegen sei er zu keinem Zeitpunkt kontaktiert worden.

    Wegen mangelnder NeutralitĂ€t beantragt Seda Baßay-Yıldız die Abgabe der Ermittlungen an eine unbeteiligte Polizeibehörde

    Baßay-Yıldız kritisiert die Polizei Wuppertal scharf fĂŒr ihre schwerwiegenden MĂ€ngel und RechtsverstĂ¶ĂŸe im Ermittlungsverfahren. Zum einen wurden Beweismittel, die bei der Durchsuchung des Hauses des Angeklagten gefunden wurden, rechtswidrig zurĂŒckgehalten. Zum anderen wurde ein Vermerk vom April 2024, der den Brandanschlag des 25. MĂ€rz 2024 als rechtsmotivierte Tat eingestuft hatte, im Nachhinein handschriftlich abgeĂ€ndert und ebenfalls zurĂŒckgehalten. Dieser Vermerk wurde dem Gericht erst durch eine Intervention des Innenministeriums NRW im Laufe des aktuellen Verfahrens ĂŒberhaupt bekannt. Baßay-Yıldız betont, dass die Polizei Wuppertal nicht das Recht habe auszuwĂ€hlen, welche Unterlagen zur Verfahrensakte gelangen und welche nicht, sondern diese vollumfĂ€nglich bereitstellen mĂŒsse – was nicht geschehen ist. DarĂŒber hinaus wurden zahlreiche DatentrĂ€ger von ihr ĂŒber ein Jahr lang nicht ausgewertet, was erst jetzt geschehen ist und deutliche Hinweise auf weitere Brandstiftungen durch Daniel S. geliefert hat.

    FragwĂŒrdige Bewertungen und ein weiterer Fall vorenthaltener Akten machen Kriminalhauptkommissar Böttcher unglaubwĂŒrdig

    Die Arbeit von Kriminalhauptkommissar Böttcher von der Abteilung „Politisch motivierte KriminalitĂ€t – rechts“ wird von Baßay-Yıldız sehr kritisch gesehen. Dieser habe die Aufrufe von rechtsextremen Internetseiten, Videos und rechten bis nationalsozialistischen Liedern durch Daniel S. stets verharmlost und als „geschichtliches Interesse“ oder als “zeitgemĂ€ĂŸen Schlager” interpretiert und viele dieser Aufrufe wie folgt bewertet: “Nicht jeder Konsument rechter Propaganda hat ein rechtes Weltbild”. Die Baßay-Yıldız verweist auf einen vergangenen Fall, in dem gegen Böttcher der Vorwurf erhoben wurde, Beweismittel vorenthalten und sehr zaghaft gegen Rechtsextreme ermittelt zu haben. Dabei beruft sie sich auf einen öffentlich zugĂ€nglichen Prozessbericht aus dem Jahr 2015, wonach dem damaligen Staatsanwalt in einem laufenden Verfahren eine Akte mit belastendem Chatmaterial ĂŒber lange Zeit nicht bekannt gewesen sei. Auch hier waren die TĂ€ter rechtsextrem und das Opfer mit Migrationshintergrund.

    Mit ihren zahlreichen Verfehlungen habe die Polizei Wuppertal das Vertrauen in die IntegritĂ€t staatlichen Handelns und das Gewaltmonopol des Staates beschĂ€digt. Damit beantragt Baßay-Yıldız, dass die Ermittlungen bzw. Auswertungen der DatentrĂ€ger an eine bislang unbeteiligte Polizeistelle bzw. an das Landeskriminalamt NRW abgegeben werden, da eine faire und unparteiische AufklĂ€rung durch die Polizei Wuppertal nicht gewĂ€hrleistet werden könne. In einem weiteren Antrag fordert Baßay-Yıldız, das laufende Verfahren um drei Wochen zu unterbrechen, da die nachgereichten Beweismittel aus den bisher nicht ausgewerteten DatentrĂ€gern extrem umfangreich sind und die NebenklageanwĂ€lt:innen mehr Zeit zur Einarbeitung benötigen, u.a. auch wegen einem bereits frĂŒhzeitig angekĂŒndigten Urlaub.

    Staatsanwalt Christopher Bona geht in die Offensive

    Staatsanwalt Christopher Bona kann bereits wĂ€hrend des Vortrags von Baßay-Yıldız seine Emotionen nur schwer verbergen. Er sieht in den BegrĂŒndungen zu ihren AntrĂ€gen ein wiederholtes “einbashen auf die Polizei”, welches “nicht aus objektiv nachvollziehbaren GrĂŒnden” geschehe. DarĂŒber hinaus warf er ihr vor, die Abgabe der Ermittlungen an eine unbeteiligte Polizeistelle nur deshalb zu beantragen, weil ihr das Ergebnis der Polizei Wuppertal nicht passen wĂŒrde. Dass Böttcher, trotz “sachlicher und nachvollziehbar Bewertung” namentlich “angefeindet” wĂŒrde, sei fĂŒr ihn nicht nachvollziehbar und „geschmacklos“. Und dass ein Baßay-Yıldız ein “Antifa-Blog” als Quelle erwĂ€hnt hat, “setze dem Ganzen noch die Krone auf”. Weiter fĂŒhrte er aus, dass die AfD die zweitstĂ€rkste Partei in Deutschland sei und es normal sei, sich mir ihr auseinanderzusetzen – demzufolge sei es kein Ausdruck einer rechten Gesinnung, dass Daniel S. viele rechte Inhalte teils wiederholt aufgerufen habe. Inhaltlich nimmt er zu ihrer sehr ausfĂŒhrlichen BegrĂŒndung allerdings keine Stellung.

    Auch den zweiten Antrag lehnt Bona mit der BegrĂŒndung ab, dass ein Aufschub um drei Wochen den Prozess weiter verzögern wĂŒrde und nicht mit dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung zu vereinbaren sei. Die im Zuge der Nachermittlungen nachgereichten Beweismittel aus den bisher nicht ausgewerteten DatentrĂ€gern im Umfang von 2 Terabyte, die erst am 11. Juli, also 3 Tage vor der heutigen Sitzung, der Nebenklagevertretung zugeschickt wurden, seien von Staatsanwaltschaft und Verteidigung bereits ausgewertet worden. Daher sei es das Problem der NebenklageanwĂ€lt:innen, dies bisher nicht geleistet zu haben.

    Reaktionen der NebenklageanwÀlt:innen auf Staatsanwalt Christopher Bona

    Baßay-Yıldız wehrt diesen Vorwurf ab und betont, dass es nicht das Versagen der NebenklageanwĂ€lt:innen sei, innerhalb von 3 Tagen 100.000 Dateien nicht vollstĂ€ndig auswerten zu können. Es sei vielmehr ein Resultat der mangelhaften Ermittlungen durch die Polizei, dass die Auswertung der DatentrĂ€ger erst parallel zur Hauptverhandlung und auch nur auf die Initiative von Baßay-Yıldız hin begonnen wurde. DarĂŒber hinaus antwortet sie, dass sie mit dem Ergebnis der Polizei Wuppertal durchaus leben könne – allerdings sei es sehr auffĂ€llig, dass der Polizei in anderen Verfahren oftmals eine einzige IS- oder PKK-Flagge ausreichen wĂŒrde, um die Zugehörigkeit einer Person zu einer politischen Gruppe zweifelsfrei festzustellen. Warum werde aber in den vermeintlich ausgewogenen Berichten von Böttcher das Konsumieren rechtsextremer Inhalter in dutzenden FĂ€llen stets als unpolitischer Einzelfall bewertet und nicht als Ausdruck einer politischen Gesinnung?

    Nebenklageanwalt Zingal betont ebenfalls, dass es in der kurzen Zeit nicht möglich sei, so viele Daten auszuwerten. Nebenklageanwalt Radoslavov wirft Bona vor, von Baßay-Yıldız kalt erwischt worden zu sein: HĂ€tte er sich besser vorbereitet, hĂ€tte er feststellen können, dass die Nachbarin von Jessica B. der Polizei sehr wohl von rechtsextremen Äußerungen durch Daniel S. berichtet hat und dies nochmal vor Gericht angehört werden sollte, bevor sich Bona zu sehr darin einrichtet den Verdacht auf eine rechtsextreme Motivation von Daniel S. abzuwehren.

    Der BrandsachverstĂ€ndige zum Brandanschlag des 5. Januar in der Normannenstraße Wuppertal findet EinschĂ€tzung der Polizei nicht nachvollziehbar

    Daran anschließend wird der BrandsachverstĂ€ndige geladen, der im Juni 2025 im laufenden Prozess beauftragt wurde, um ein Gutachten zum Brand in der Normannenstraße anzufertigen – drei Jahre nach dem Brand vom 5. Januar 2022. Die dort von ihm erstellten Fotos ordnet er im Direktvergleich mit den von der Polizei nach dem Brand erstellten Fotos ein. Demnach sei die KellertĂŒr zur Straße hin noch intakt, doch der Schließzylinder sei nach dem Brand ausgetauscht worden, weil die TĂŒr von der Feuerwehr aufgebrochen werden musste. Er konnte weiter feststellen, dass die KellertĂŒr zum Treppenhaus hin zum Beginn des Brandes geschlossen und irgendwann wĂ€hrend einer bereits starken Rußentwicklung geöffnet worden war – ob durch die Feuerwehr oder andere Personen kann er nicht sagen. 

    Im weiteren Verlauf sagt er, dass zwei unabhĂ€ngige Brandherde nur den Schluss zulassen, dass es sich zwingend um vorsĂ€tzliche Brandstiftung gehandelt habe, wĂ€hrend defekte Elektroinstallationen im Keller als Brandquelle im höchstem Maße unwahrscheinlich seien. Der eine Brandherd befand sich unmittelbar am Kellerabteil des Nachbarn, den Daniel S. zuvor terrorisiert hatte (siehe Prozessbericht 16), wĂ€hrend der andere Brandherd am Fuße der Kellertreppe zum Treppenhaus gelegt wurde. Auf die Frage, wie die Polizei auf einen Kabelbrand als ErklĂ€rung komme und ob es dafĂŒr irgendwelche Hinweise gĂ€be, antwortet der BrandsachverstĂ€ndige: Nein, das sei ihm „unverstĂ€ndlich“. Er wisse „nicht, wie man darauf kommen könnte“.

    Anhörung der Ex-Partnerin von Daniel S., deren Auto mit Brandbeschleuniger begossen worden war

    Zum Schluss wird Luisa Maria P. geladen und zu Daniel S. befragt. Sie kenne Daniel S. schon seit der 5. Klasse, war mit ihm von 2014-2019 in einer Beziehung und beschreibt ihn wĂ€hrend der Schulzeit als ruhig und unauffĂ€llig. Als sie 2014 zusammengekommen sind, wohnte er bereits in der Solinger GrĂŒnewalder Straße, in welcher er 2024 vier Menschen ermordete und 21 Menschen schwer verletzte. Neben zahlenreihen Aussagen zu seinem Alltagsleben und seiner von Antriebslosigkeit psychischen Verfassung sagte Luisa Maria P., dass Daniel S. keinerlei politisches Interesse gehabt habe und vermutlich auch nicht an Wahlen teilgenommen habe. Rechtsextreme Auffassungen oder Aussagen habe sie nie beobachtet. Wenn es um Migrant:innen ging, habe er sich nie auffĂ€llig oder aggressiv verhalten und zu einer Familie mit Migrationsgeschichte in der GrĂŒnewalder Straße ein gutes VerhĂ€ltnis ohne Konflikte gehabt. Staatsanwalt Bona fragt sie zum Brand ihres Autos und den zerstochenen Reifen: Entgegen ihrer ersten Aussage bei der Polizei wisse sie nicht mehr, ob sie erst mit Daniel S. den Kontakt abgebrochen habe und dann sei ihr Auto angezĂŒndet worden war oder umgekehrt. Bona fragt weiter, ob sich Daniel S. sich zur FlĂŒchtlingswelle 2015/16 geĂ€ußert habe – dies sei schließlich ein Thema gewesen, das in allen Medien rauf und runter diskutiert worden und damit kaum zu ignorieren gewesen sei. Doch auch hier beharrt Luisa Maria P. darauf, von rassistischen Äußerungen nichts mitbekommen zu haben. Richter Kötter fragt sie, ob sie mitbekommen habe, dass Daniel S. irgendwelche Dinge bestellt oder gebastelt habe, was sie ebenfalls verneint. Damit bezieht sich Kötter vermutlich auf die von Daniel S. im Darknet gekauften Waffen und selbstgebauten BrandsĂ€tze, die im Keller gefunden wurden.

    Wie geht es weiter?

    Die nĂ€chsten Termine sind am 25., 28. und 30. Juli 2025, wobei fĂŒr den 28. Juli die PlĂ€doyers und fĂŒr den 30. Juli die UrteilsverkĂŒndung angestrebt wird.

    Dabei ist nach wie vor unklar, wie sich Richter Kötter zu den AntrĂ€gen von Baßay-Yıldız zur Unterbrechung des Prozesses um drei Wochen positionieren wird. Falls dem nicht stattgegeben wird, ist unklar, ob Baßay-Yıldız und Zingal bei den PlĂ€doyers und der UrteilsverkĂŒndung anwesend sein können. Es verhĂ€rtet sich der Eindruck, dass mit allen Mitteln versucht wird, den Prozess schnell hinter sich zu bringen, als die Motivation des TĂ€ters sowie das mehrfache Versagen der Polizei ergebnisoffen und vollumfĂ€nglich aufzuklĂ€ren.

    Die Angehörigen und Überlebenden des Anschlags werden konsequent ĂŒbergangen und mĂŒssen sich höchstwahrscheinlich den letzten Verhandlungsterminen ohne ihre AnwĂ€lte schutzlos stellen. Jegliche Kritik am unrĂŒhmlichen Verhalten der Polizei wird von der Staatsanwalt kategorisch und sehr emotional abgewehrt, ohne auch nur eine der zahlreichen offenen Fragen zu beantworten.

    Hinweise auf die rechtsextreme Gesinnung des TĂ€ters werden unverfroren als “leidiges Thema” bezeichnet. Dies ist besonders bitter vor dem Hintergrund, dass bei einer rechtzeitigen Ermittlung der Brandursache in der Normannenstraße mit hoher Wahrscheinlichkeit der mörderische Brandanschlag vom 25. MĂ€rz 2024 hĂ€tte verhindert werden können.

  • 24. Juni 2025: Sitzung 17

    RĂŒckblick:

    In der letzten Sitzung am 11. Juni 2025 wurde deutlich: Daniel S. ist nicht nur verantwortlich fĂŒr den Brandanschlag vom 25. MĂ€rz 2024 in der GrĂŒnewalderstraße in Solingen, sondern hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Brandanschlag vom 5. Januar 2022 in der Normannenstraße in Wuppertal begangen. Diese Erkenntnis stammt jedoch nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft, sondern wurde durch die NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız ermittelt und in das Verfahren gegen Daniel S. eingebracht.

    Zu Beginn der heutigen Sitzung prĂ€sentierte Richter Kötter den aktuellen Stand der Nachermittlungen, die seit dem letzten Termin durchgefĂŒhrt wurden.

    Brandstiftung in der Normannenstraße in Wuppertal durch Gutachten bestĂ€tigt

    Drei Jahre nach dem Brand wurde nun – erstmals – ein BrandsachverstĂ€ndiger beauftragt, die Ursache des Feuers in der Normannenstraße zu untersuchen. Der Gutachter kam sehr schnell zu dem Ergebnis, dass es sich eindeutig um vorsĂ€tzliche Brandstiftung handelt: Im Keller wurden zwei voneinander unabhĂ€ngige Brandherde festgestellt. WĂ€hrend die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung die entsprechenden Akten bereits per Post erhalten haben, warten die AnwĂ€lt:innen der Nebenklage seit neun Tagen auf die Zustellung. Warum?

    Im Zuge dieser Nachermittlungen wurden zwei Personen durch die Polizei befragt: Jessica B., die Partnerin des TĂ€ters Daniel S., sowie Luisa Maria P., eine Ex-Partnerin von Daniel S., die bislang im Prozess keine Rolle spielte.

    Jessica B. bestĂ€tigte bei ihrer Vernehmung, was bereits durch die bei der letzten Sitzung vorgestellten ChatverlĂ€ufe zwischen ihr und Daniel S. belegt wurde: Daniel S. hatte einen SchlĂŒssel zur Wohnung in der Normannenstraße und hielt sich am Tatabend im  Haus auf, um persönliche GegenstĂ€nde abzuholen.

    Schwerer Verdacht auf eine dritte Brandstiftung

    Auch die Ex-Partnerin Luisa Maria P. wurde von der Polizei vernommen. Sie berichtete von einem Vorfall, bei dem die Reifen ihres Autos zerstochen und ein Brandsatz aus GrillanzĂŒndern unter ihrem Fahrzeug platziert wurde – der nur durch Zufall von einem Zeugen rechtzeitig entdeckt und entfernt werden konnte. Ein Brand des Autos konnte so verhindert werden. Auch sie verdĂ€chtigt Daniel S. der Tat.

    Dieser Verdacht wird durch die Auswertung von Funkzellenabfragen gestĂŒtzt: Daniel S. hielt sich demnach wĂ€hrend der Tatzeit in der NĂ€he des Fahrzeugs auf. Zudem wurde bekannt, dass er mindestens fĂŒnf verschiedene Mobiltelefone bzw. SIM-Karten genutzt hat. Warum sind nicht alle von ihm genutzten Mobiltelefone systematisch untersucht worden?

    Psychiatrisches Gutachten und Partnerin belasten Daniel S. als notorischen LĂŒgner – doch die Staatsanwaltschaft glaubt ihm weiterhin

    Seda Baßay-Yıldız beantragte, dass das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr.  Faustmann in der nĂ€chsten Sitzung verlesen wird. Hintergrund sind ihre Zweifel an dem von Daniel S. behaupteten Motiv, der Brand in der GrĂŒnewalderstraße sei aus einem Streit mit der Vermieterin hervorgegangen.

    Jessica B. beschreibt ihren Partner Daniel S. als chronischen LĂŒgner, der ihr unter anderem lange verheimlicht habe, keiner Arbeit nachzugehen. Das deckt sich mit dem Gutachten, wo ein erhöhter Wert bei „unaufrichtigem Antwortverhalten“ festgestellt wurde – daneben erzielte Daniel S. den zweithöchsten Wert bei „Furchtlosigkeit“ und den dritthöchsten bei „Kaltherzigkeit“.

    FĂŒr Seda Baßay-Yıldız ist klar: Das Gutachten zeigt, dass es keinerlei Anlass gibt, den Angaben des Angeklagten zu seinem Tatmotiv zu glauben. Umso unverstĂ€ndlicher ist es, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin am angeblichen persönlichen Motiv festhĂ€lt – und sich weigert, ein rassistisches Motiv auch nur in Betracht zu ziehen. Warum wird ein rassistisches Motiv nicht zugelassen?

    Wer hatte zuletzt Zugriff auf die Festplatte mit den rechtsextremen Inhalten?

    Ein weiterer Antrag von Seda Baßay-Yıldız betrifft die Sichtung diverser Ordner und Dateien auf einer externen Toshiba-Festplatte, die von der Staatsanwaltschaft weiterhin der Partnerin Jessica B. zugeordnet wird. Zudem beantragt sie die PrĂŒfung der Soundcloud- und Mixcloud-Accounts von Daniel S. – Plattformen, auf denen elektronische Musik hochgeladen wird. Die Festplatte war zuletzt an seinen DJ-Mischpult angeschlossen worden, und Daniel S. gab an, seit seinem zwölften Lebensjahr elektronische Musik zu produzieren. Es spricht also vieles dafĂŒr, dass die Festplatte – und damit auch die rechtsextremen Inhalte darauf – ihm zuzurechnen sind. Dennoch weigert sich die Staatsanwaltschaft, diesen naheliegenden Zusammenhang nĂ€her zu untersuchen. Auch hier stellt sich die Frage: warum?

    Wer hatte zuletzt Zugriff auf die Festplatte mit Nachbarn zeigen Daniel S. wegen gefĂ€hrlicher Körperverletzung an – Polizei bleibt untĂ€tig rechtsextremen Inhalten?

    Weitere mögliche Straftaten von Daniel S. sind inzwischen bekannt geworden. Zwei Nachbarn aus Solingen – beide mit Migrationshintergrund – haben ihn wegen SachbeschĂ€digung und gefĂ€hrlicher Körperverletzung angezeigt. In einem Fall wurde ein Ă€lterer Nachbar mit einem Metallzaun beworfen. Dennoch verweigerte die Polizei  Ermittlungen und verwies lediglich auf die Möglichkeit einer Privatklage. Keine der betroffenen Personen wurde jemals polizeilich befragt.

    Kurz nachdem er von seinen Nachbarn angezeigt wurde, suchte Daniel S. auf Google unter anderem nach folgenden Begriffen: „Tod des PrivatklĂ€gers“, „Anzeiger verstorben“, „Anzeiger stirbt nach Anzeige“, „Jeder kann anonym eine Waffe kaufen im Darknet“ und „Waffenkauf Darknet“. All dies hat im bisherigen Prozess und den polizeilichen Ermittlungen keine Rolle gespielt. Daher beantragte Nebenklageanwalt Athanasios Antonakis, die beiden Nachbarn in kĂŒnftigen Sitzungen als Zeug:innen zu laden.

    Jobcenter-Akten bleiben unter Verschluss – warum?

    Ein weiterer Antrag von Seda Baßay-Yıldız fordert, die Akten des Jobcenters zu Daniel S. in das Verfahren einzubeziehen, um aufzuklĂ€ren, ob Daniel S. Zugang zu allen Wohnungen im Haus seines Vaters hatte – insbesondere zu jener Dachgeschosswohnung, in der NS-Devotionalien und weitere politische Beweismittel gefunden worden waren.

    Die Staatsanwaltschaft beharrt darauf, dass allein der Vater in dieser Wohnung gelebt und die SchlĂŒsselgewalt gehabt habe. Doch zahlreiche Indizien sprechen dagegen: Jessica B. sagte in einer Befragung, dass Daniel S. im Haus stĂ€ndig aktiv gewesen sei und Renovierungen vorgenommen habe – eine Aussage, die auch Daniel S. selbst bestĂ€tigt hat. In der Wohnung wurden zudem Malerutensilien, ein Kalender von 2024, eine ZahnbĂŒrste und eine Tabakdose gefunden – identisch zu denjenigen, die Daniel S. zur Aufbewahrung von Brandbeschleunigern verwendete.

    Die Einsicht in Akten des Jobcenters und dem dort vorgelegten Mietvertrag könnte zur KlĂ€rung der Frage beitragen, wo Daniel S. tatsĂ€chlich gelebt hat – und wo nicht. Warum verweigert die Staatsanwaltschaft diesen naheliegenden Schritt?

    Zunehmende Zweifel an der AufklÀrungsabsicht der Staatsanwaltschaft

    Alle AntrĂ€ge werden von der Staatsanwaltschaft zurĂŒckgewiesen und lĂ€cherlich gemacht – so auch die Hinweise auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv. Bei den AntrĂ€gen von Seda Baßay-Yıldız handele es sich „noch nicht mal um richtige AntrĂ€ge“… Die Staatsanwaltschaft glaubt weiterhin dem TĂ€ter, seiner Partnerin und seinem Vater – und weigert sich nach wie vor, die Wohnsituation von Daniel S. mithilfe der Jobcenter-Akten evidenzbasiert zu prĂŒfen.

    Auch die Tatsache, dass die Festplatte mit einem DJ-Mischpult verbunden wurde, scheint fĂŒr die Staatsanwaltschaft kein Anhaltspunkt fĂŒr einen möglichen Zugriff oder gar Besitz zu sein – obwohl Daniel S. seit seiner Kindheit elektronische Musik produziert und seine Partnerin verneint hat, die rassistischen Bilder auf der Festplatte zu kennen. Warum?

    Suchanfragen mit nationalsozialistischem Bezug und das wiederholte Hören von NS-Liedern werden weiterhin als Ausdruck „geschichtlichen Interesses“ verharmlost. Warum wird dieser Kontext so konsequent entpolitisiert – nachdem vier Menschen verbrannt und viele weitere teils schwer verletzt wurden?

    Seda Baßay-Yıldız resĂŒmiert: Die „Ermittlungen“ von Polizei und Staatsanwaltschaft seien an Dilettantismus kaum zu ĂŒberbieten und hĂ€tten mit rechtsstaatlichem Vorgehen nichts mehr zu tun. Es gebe zahlreiche Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung des TĂ€ters, die bewusst ignoriert oder geleugnet wĂŒrden. Ein ernsthafter Wille zur AufklĂ€rung sei nicht erkennbar, und noch nie in ihrer Karriere habe sie ein derart niedriges Niveau von Seiten der Justiz erlebt.

    Unser Fazit:

    HĂ€tte die Polizei den Brand in der Normannenstraße in Wuppertal AufgeklĂ€rt, wĂŒrden vier Menschen heute noch leben. Die UnfĂ€higkeit und Unwilligkeit von Polizei und Justiz, ihre Arbeit zu erledigen, werden immer offensichtlicher und beschĂ€digen ohne Not das Vertrauen in diejenigen Institutionen, die uns ein Leben in Sicherheit und Gerechtigkeit ermöglichen sollen.

    • Warum wurden Verfahren gegen Daniel S. in der Vergangenheit immer wieder eingestellt?
    • Warum hat die Polizei bei mehreren Brandstiftungen die Ermittlungen verschleppt? Hat es eine Rolle gespielt, dass die HĂ€user von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt waren?
    • Warum wurde das Wohnhaus von Daniel S. nicht vollstĂ€ndig durchsucht, wie das bei einem Mordverdacht geboten ist?
    • Warum ist die Position der Staatsanwaltschaft identisch mit der Position der Verteidigung von Daniel S.
    • Warum lehnt die Staatsanwaltschaft die Einbeziehung wichtiger Beweismittel in den Prozess wiederholt ab?
    • Warum wurden alle substantiellen Erkenntnisgewinne im Prozess gegen Daniel S. von der NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız geleistet – und nicht von der Polizei?
    • Wer hat den Eintrag „rechtsmotivert“ aus der Akte des Staatsschutzes per Hand gestrichen, und warum?
    • Warum wurde kein Protokoll der (nur teils durchgefĂŒhrten) Hausdurchsuchung von der Polizei angelegt?
    • Wer hat dafĂŒr gesorgt, dass alle Fotos mit rechtsextremen Beweismitteln aus den Prozessakten herausgehalten wurden, und warum?

    Ausblick:

    Die im MĂ€rz 2024 „versĂ€umten“ Nachermittlungen sowie das forensische IT-Gutachten laufen nach Richter Kötter weiterhin im Hintergrund und sollen in der nĂ€chsten Sitzung vorgestellt werden. Zudem erwĂ€gt das Gericht, die Ex-Partnerin Luisa Maria P. als Zeugin zu laden. Weitere polizeiliche Ermittlungen bleiben abzuwarten.

    Der nÀchste Prozesstermin am Landgericht Wuppertal ist am 14. Juli um 9:15. Kommt zahlreich und macht euch ein eigenes Bild!

  • 11. Juni 2025: Sitzung 16

    Am heutigen Prozesstag wurde ein ehemaliger Nachbar von Jessica B. – der Partnerin des TĂ€ters Daniel S. – als Zeuge geladen. Jessica B. lebte in der Normannenstraße in Wuppertal, wo es am 5. Januar 2022 ebenfalls zu einem Brand kam und Bewohner:innen des Hauses von der Feuerwehr per Drehleiter aus dem Fenster gerettet werden mussten – wie auch beim Brand in Solingen am 25. MĂ€rz 2024 hatten viele einen Migrationshintergrund.

    Schon beim letzten Verhandlungstag am 2. Juni 2025 wurde bekannt, dass der TĂ€ter Daniel S. unmittelbar nach dem Brandausbruch am 5. Januar 2022 die Adresse Normannenstraße in Wuppertal gegoogelt hat. Über die Polizeiakten zum TĂ€ter Daniel S. konnte die Nebenklagevertreterin Seda Baßay-Yıldız herausfinden, dass sich Daniel S. und sein Nachbar gegenseitig angezeigt hatten. Daher wird der Nachbar als Zeuge zunĂ€chst vom Richter Jochen Kötter zu seinem nachbarschaftlichen VerhĂ€ltnis zum TĂ€ter Daniel S. befragt, der zwar nicht in der Normannenstraße gewohnt hat, doch hĂ€ufig bei seiner Partnerin Jessica B. zu Besuch war.

    Technopartys, klirrende Flaschen und körperliche Angriffe

    Der Nachbar schildert, dass die gesamte Nachbarschaft Konflikte mit dem TĂ€ter Daniel S. gehabt habe, da in der Wohnung oft gefeiert und laut Techno gehört wurde, wobei auch hĂ€ufig klirrende Flaschen zu hören gewesen seien. Daher sei von verschiedenen Nachbar:innen regelmĂ€ĂŸig die Polizei gerufen worden – auch von ihm selbst. Auf vorherige Bitten, die Musik leiser zu machen, habe Daniel S. sehr aggressiv reagiert, sodass ein GesprĂ€ch nicht möglich war. Der Nachbar berichtet weiterhin, dass Daniel S. es wohl besonders auf ihn abgesehen habe. So habe er eines Morgens GerĂ€usche hinter der WohnungstĂŒr gehört. Als er diese öffnete, stand Daniel S. mit einem Handy bzw. Tablet direkt vor der TĂŒr. Als der Nachbar Daniel S. darauf ansprach, was dieser vor seiner TĂŒr wolle, habe Daniel S. ihn prompt mit Pfefferspray attackiert, woraufhin der Nachbar ihn angezeigt hatte. DarĂŒber hinaus sei Daniel S. auch in anderen FĂ€llen aggressiv gewesen: er habe etwa den Nachbarn im Treppenhaus gestoßen oder bei einem gleichzeitigen Betreten des Hauses die EingangstĂŒr von innen abgeschlossen, damit der Nachbar diese erneut aufschließen muss.

    Zugeklebte SchlĂŒssellöcher, brennbare FlĂŒssigkeiten und DiebstĂ€hle aus Keller und Briefkasten

    Der Zeuge berichtet von mehreren sehr auffĂ€lligen Ereignissen im Zeitraum vor dem Brand, die in der Konsequenz eigentlich nur eine einzige Vermutung zulassen: Dass Daniel S. auch den Brand in der Normannenstraße vom 5. Januar 2022 gelegt hat, und dass der Brandanschlag in Solingen vom 25. MĂ€rz 2024 hĂ€tte verhindert werden können, wenn die Polizei zuvor ordentlich ermittelt hĂ€tte. Vier Menschen könnten heute noch am Leben sein.

    ZunĂ€chst berichtet der Zeuge davon, dass im Zeitraum vor dem Brand seine Fußmatte drei bis vier Mal mit einer öligen, nach Diesel riechenden FlĂŒssigkeit begossen worden war. Außerdem sei sein SchlĂŒsselloch wiederholt zugeklebt worden, sodass er nicht die Wohnung betreten konnte. Er berichtet von zwei DiebstĂ€hlen aus seinem Kellerabteil und davon, dass ihm Briefe aus dem Briefkasten geklaut worden seien – darunter auch ein Briefe mit einer Visa-Karte und der dazugehörigen PIN, woraufhin auch Geld von seinem Konto entwendet wurde. Der Zeuge habe die Abhebungen und KĂ€ufe von seinem Konto der Polizei gemeldet und das Geld auch erstattet bekommen. Ob die Polizei den TĂ€ter jemals ermittelt hat, ist bis heute unklar. Bei keinem dieser VorfĂ€lle konnte der Zeuge Daniel S. als TĂ€ter beobachten, doch seit dieser nicht mehr im Haus wohnt, habe es keine dieser Probleme bzw. VorfĂ€lle mehr gegeben. Insgesamt fĂŒhlte sich der Nachbar von Daniel S. permanent beobachtet – und zwar “besser als von der Polizei”.

    Abgeschlossene Fluchtwege, offener Zugang zum Heizungskeller und zwei Gasflaschen

    Daniel S. scheint es nicht nur auf den Zeugen abgesehen zu haben: Letzterer schildert, dass es im Zeitraum vor dem Brand im Januar 2022 zu mehreren Manipulationen im Keller des Wohnhauses gekommen war. Dort gab es einen Kellerraum mit Zugang zur Straße, in dem die MĂŒlltonnen der Bewohner:innen gelagert wurden. Einige Wochen vor dem Brand wurde jedoch das Schloss ausgetauscht, sodass die Bewohner:innen des Hauses die MĂŒlltonnen nicht mehr in den Keller zurĂŒckstellen konnten. Zum einen wurde damit ein möglicher Fluchtweg versperrt, durch den die Bewohner:innen das Haus im Brandfall hĂ€tten verlassen können. Zum anderen berichtet der Nachbar, dass die SicherheitstĂŒr zum Heizungsraum, die sonst immer abgeschlossen gewesen sei, vor dem Brand nun aufgeschlossen war. Und genau von dort aus soll der Brand laut Polizei seinen Ursprung genommen haben. Bei der Befragung des Nachbarn wurden auch zahlreiche Bilder im Gerichtssaal gezeigt, auf denen die BrandschĂ€den im Keller des Hauses zu sehen waren. Dabei sind auch zwei Gasflaschen im Eingangsbereich des Kellerabteils mit den MĂŒlltonnen zu sehen, das zur Straße fĂŒhrt. Der Nachbar betont, dass er bis dato noch nie Gasflaschen im Keller gesehen habe.

    Der Brand am 5. Januar 2022: Keine Befragung, keine Ermittlung?

    Am Tag des Brands kam der Zeuge  gegen 17:30 von der Arbeit zurĂŒck. Auf RĂŒckfrage sagt er, dass er nicht darauf geachtet habe, ob auch an diesem Tag seine Fußmatte mit einer öligen FlĂŒssigkeit getrĂ€nkt war. Den Brand selbst bemerkte er gegen 21 Uhr durch den Geruch und die Schreie der Nachbar:innen, Rauch- bzw. Brandmelder gab im Haus keine – bis heute. Nachdem der Zeuge den Brand bemerkte, öffnete er seine WohnungstĂŒr und sah dichten schwarzen Rauch im Treppenhaus. Dennoch entschloss er sich als einziger Bewohner, das Haus ĂŒber das Treppenhaus zu verlassen. GlĂŒcklicherweise nahm er dabei seinen HausschlĂŒssel mit, denn die EingangstĂŒr im Erdgeschoss war abgeschlossen, was seiner Aussage zufolge sehr ungewöhnlich war. Der Nachbar rief sofort danach die Feuerwehr und beobachtete den Einsatz aus nĂ€chster NĂ€he, doch er wurde weder in der Tatnacht noch danach jemals von der Polizei befragt. Warum?

    Dass dieser Brand von der Polizei als ausermittelt eingestuft und in die Akten gelegt wurde, ohne dass der Zeuge vom heutigen Prozess jemals befragt wurde, lÀsst uns daran zweifeln, inwiefern die Polizei an der AufklÀrung dieses Brandes wirklich interessiert war. Laut der Akte zum Brand sei ein Polizeibeamter anhand der Fotos zum Schluss gekommen, dass ein BrandsachverstÀndiger nicht nötig sei, um die Brandursache zu ermitteln.

    Nach der Befragung des Nachbarn wurde noch ein Chatverlauf zwischen dem TĂ€ter Daniel S. und seiner Partnerin Jessica B. von Richter Kötter vorgelesen, der sich am 5. Januar 2022 vor dem Brand in der Normannenstraße abgespielt hat. Jessica B. fragt Daniel S.: “Wo bleibst du jetzt?”. Am spĂ€ten Nachmittag wollten die beiden wohl zusammen Einkaufen gehen, doch Daniel S. erscheint nicht, auch nicht spĂ€ter zum Abendessen. Er beteuert, dass er gleich losfahre und noch Matratzen und Bilder mitnehmen sowie Lampen abmontieren mĂŒsse. Jessica B. hat wenig VerstĂ€ndnis dafĂŒr, warum er dafĂŒr solange braucht
 An dieser Stelle wird deutlich, dass Jessica B. deutlich lĂ€nger in der Wohnung in der Normannenstraße gelebt hat als vor dem Meldeamt angegeben, und der Chat deutet daraufhin, dass ihr finaler Auszug unmittelbar vor der Brandlegung abgeschlossen wurde
 Richter Kötter mahnt, dass es noch zu frĂŒh sei, um Daniel S. als TĂ€ter fĂŒr den Brand vom 5. Januar 2022 zu identifizieren – genau dieser Prozess habe gelehrt keine voreiligen SchlĂŒsse zu ziehen – doch er macht Daniel S. ein Angebot zu gestehen, um sein “Gewissen zu erleichtern”.

    Wie geht es nun weiter im Prozess gegen Daniel S.?

    RĂŒckfragen durch Richter Kötter sowie den Nebenklagevertreter:innen, inwiefern Spuren der unbekannten FlĂŒssigkeit auf der Fußmatte bzw. möglichen BrandsĂ€tzen im Keller noch gefunden werden können, konnte der Zeuge nicht mit Sicherheit beantworten, da das Haus gereinigt und der Keller zu großen Teilen neu gestrichen worden sei. Die Staatsanwaltschaft hat ein Gutachten eines BrandsachverstĂ€ndigen in Auftrag gegeben, wĂ€hrend die Jobcenter-Akten von Daniel S. weiterhin nicht von der Kammer hinzugezogen wurden – Richter Kötter machte dabei auch deutlich, dass dies weiterhin nicht geplant sei. Die Akten des Jobcenters sind aber fĂŒr den Prozess weiterhin sehr relevant, weil sie Aufschluss darĂŒber geben, in welcher Wohnung Daniel S. gelebt hat, und damit Aufschluss darĂŒber geben, ob die bei der Hausdurchsuchung in Solingen entdeckten nationalsozialistischen BĂŒcher Daniel S. oder seinem Vater zuzurechnen sind.

    Unser Fazit zum heutigen Prozesstag:

    Aus unserer Sicht ist es sehr wahrscheinlich, dass Daniel S. auch den Bandanschlag am 5. Januar 2022 in der Normannenstraße in Wuppertal begangen hat. DafĂŒr gibt es zahlreiche Indizien:

    • Daniel S. war oft im Haus und hatte wiederholt Konflikte mit der Nachbarschaft
    • Die Fußmatte eines Bewohners wurde wiederholt mit einer nach Diesel riechende FlĂŒssigkeit begossen und seine WohnungstĂŒr zugeklebt
    • Fluchtwege in Keller und Treppenhaus wurden verschlossen, wĂ€hrend plötzlich Gasflaschen im Keller aufgetaucht sind
    • Die meisten Bewohner:innen des Hauses haben einen Migrationshintergrund – wie auch beim Brandanschlag des 25. MĂ€rz 2025
    • Daniel S. hat die Normannenstraße unmittelbar nach der Brandlegung auf Google gesucht
    • Daniel S. hat sich am Abend vor der Brandlegung zum gemeinsamen Einkaufen und Abendessen mit seiner Partnerin Jessica B. deutlich verspĂ€tet
    • Der finale Auszug von Jessica B. und die Brandlegung fanden am selben Tag statt
    • Es wurde ein Zugang zum zuvor hinter einer SicherheitstĂŒr abgeschlossenen Heizungskeller geschaffen, von welchem der Brand laut Polizei ausgegangen sein soll

    Keine dieser Indizien wurden bisher im Prozess gegen Daniel S. von der Staatsanwaltschaft in den Prozess eingebracht. Doch auch die Wuppertaler Polizei hat ihren Ruf bei ihren “Ermittlungen” zum Brand am 5. Januar 2022 mehr als beschĂ€digt:

    • Warum wurde nicht der Bewohner befragt, die den Brand gesehen und die Feuerwehr ĂŒberhaupt erst gerufen hat?
    • Warum wurde kein BrandsachverstĂ€ndiger bestellt, um die Brandquelle zu ermitteln?
    • Warum wurde nicht geprĂŒft, ob es Personen geben könnte, die ein Tatmotiv oder ein auffĂ€lliges Verhalten haben könnten – so wie Daniel S.?
    • Wie konnte die Wuppertaler Polizei die “Ermittlungen” zu diesem Brandanschlag einstellen, bevor sie ĂŒberhaupt begonnen haben? Warum ist das passiert?

    Wir sind der Auffassung, dass der Brandanschlag vom 25. MÀrz 2024 in Solingen hÀtte verhindert werden können, wenn die Wuppertaler Polizei ihrer Arbeit nachgegangen wÀre. Es hÀtte verhindert werden können, dass vier Menschen ihr Leben verlieren. Und wir stellen uns die Frage: Gibt es weitere BrÀnde, die mit Daniel S. in Verbindung gebracht werden können? Und warum scheinen auch bei diesem Brandanschlag Polizei und Justiz an einer aktiven AufklÀrung des Falls nicht sonderlich interessiert zu sein?

    Der nÀchste Prozesstermin am Landgericht Wuppertal ist am 24. Juni um 9:15. Kommt zahlreich und macht euch ein eigenes Bild!

  • 2. Juni 2025: Sitzung 15

    Am heutigen Prozesstag wurde bekannt: Die polizeiliche Auswertung der Google-Cloud-Daten des Angeklagten Daniel S. ist abgeschlossen. Darin enthalten: seine gesamte Suchhistorie. Die entsprechenden Scans wurden sowohl dem Gericht als auch der NebenklageanwĂ€ltin Seda Baßay-Yıldız auf CD zugesandt. Doch das Gericht stellte fest, dass zahlreiche RĂŒckseiten der Scans kaum lesbar oder schlecht eingescannt waren. Die Konsequenz: Es mussten neue, besser lesbare Versionen bei der Polizei angefordert werden. Die Nebenklage legte Wert darauf, alte und neue Scans miteinander abgleichen zu können – ein Anliegen, das angesichts der bisherigen gravierenden Ermittlungsfehler mehr als berechtigt erscheint. Immerhin handelt es sich um 52 Seiten und 16 PDF-Dokumente.

    Wir erinnern uns: Am letzten Verhandlungstag, dem 12. Mai, wurden die rechtsextremen Dateien auf der Festplatte der LebensgefÀhrtin des Angeklagten, Jessica B., einem Raphael L. zugeordnet. Laut Polizei ging aus der Ordnerstruktur hervor, dass Raphael L. seine Handy-Daten dort als Backup gesichert hÀtte.

    Raphael L. wird heute als Zeuge befragt und erklĂ€rt, er habe keinen Kontakt zu Daniel S. und kenne ihn nicht. Daniel S. reagiert betont lĂ€ssig auf den Blickkontakt mit Raphael L., wĂ€hrend letzterer aussagt, dass er Jessica B. aus dem Kontext der Techno-Clubszene kennt und zwischen 2015 und 2017 regelmĂ€ĂŸig Zeit mit ihr in Clubs und auf Festivals verbracht habe. Der letzte nachweisbare Kontakt fand laut Richter im Dezember 2018 statt – dies ist aus Chatprotokollen ersichtlich. Raphael L. beschreibt das VerhĂ€ltnis als oberflĂ€chlich, keine Freundschaft und keine IntimitĂ€t. Man habe sich in der Red Cat Lounge in Köln kennengelernt. In seinem damaligen Lebensabschnitt sei Raphael L. exzessiv feiern gewesen, inklusive Drogenkonsum. Jessica B. habe zu jener Zeit in der Normannenstraße in Wuppertal-Oberbarmen. Genau dort kam es am 5. Januar 2022 zu einer Brandstiftung, worauf an spĂ€terer Stelle nĂ€her eingegangen wird.

    Ursprung rechtsextremer Hetzbilder weiterhin unklar

    Der Richter fragt Raphael L., wie es sein kann, dass seine Handydaten – inklusive rechtsextremer Hetzbilder – auf der Festplatte von Jessica B. gefunden wurden. Dieser ist sich nicht ganz sicher. Die plausibelste ErklĂ€rung, die fĂŒr ihn Sinn ergibt: Er habe eventuell, um Speicherplatz fĂŒr Festivals freizumachen, ein Backup seines Handys ĂŒber ihr Handy bzw. Notebook erstellt – in einer Zeit, als Handyspeicher knapp und Cloudlösungen teuer gewesen seien. Genau erinnern könne er sich daran aber nicht. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Jessica B. in einer vorherigen Befragung bezĂŒglich der NS-Propagandadateien ausgesagt hatte, dass sie das Notebook gebraucht gekauft habe und die Dateien aus diesem Kontext stammen könnten.

    Der Richter befragt Raphael L. zu seiner politischen Haltung. Dieser betont, keine rechte Gesinnung zu haben und „rot aufgewachsen“ zu sein. Seine Stiefmutter sei SPD-Mitglied, er selbst verorte sich in der Mitte. Warum also hatte er die rechtsextremen Hetzbilder auf dem Handy? Antwort: FrĂŒher seien solche Inhalte ĂŒber WhatsApp-Gruppen verschickt worden. Den Humor habe er nicht geteilt, aber auch nichts gelöscht. Man habe die automatische Bildspeicherung von WhatsApp nicht deaktivieren können – das sei erst spĂ€ter möglich gewesen. Er distanziert sich von den Bildern, gibt aber zu, sie frĂŒher nicht gelöscht zu haben.

    Der Richter hakt nach: Hat er sein Handy verliehen, ist es mal beschĂ€digt oder verloren gegangen? Da fĂ€llt Raphael L. ein: Es wurde um das Jahr 2016 gestohlen. Ob das der Grund fĂŒr das DurchfĂŒhren des Backups sei, wird aber nicht klar.

    Die NebenklageanwĂ€ltin ĂŒbernimmt die Befragung und will wissen, welche und wie viele Bilder ihm die Polizei bei der ersten Vernehmung gezeigt habe. Raphael L. antwortet: Etwa 30 Bilder auf einer DIN-A4-Seite. Wichtig: Dabei handelt es sich ausschließlich um Bilder, die die Nebenklage nachtrĂ€glich selbst aufgedeckt und ins Verfahren eingebracht hatte. Die restlichen 166 Bilder – allesamt rechtsextremer Inhalt – wurden Raphael L. nicht von der Polizei vorgelegt und wurden nun im Gerichtssaal vorgefĂŒhrt.

    Unter den Bildern: explizite NS-Memes, das N-Wort, Hitler-Zitate, Hakenkreuze, Reichsadler, der Begriff „Gas“ in zynischem Kontext. Zwei Bilder stechen besonders hervor: Auf einem posieren zwei MĂ€nner mit teilvermummtem Gesicht und Pistolen vor einem Banner mit der Aufschrift „Ultras Köln Asozial“. Auf einem anderen sieht man zwei stark alkoholisierte MĂ€nner mit szenetypischer Kleidung aus dem rechtsextremen Milieu (u.a. Lonsdale).

    Auf Nachfrage sagt Raphael L., er wĂŒrde solche Bilder heute vermutlich löschen – frĂŒher aber wohl eher nicht. Sie hĂ€tten ihn genervt, weil sie automatisch in seiner Galerie auftauchten. Er wisse aber nicht, wer die Fotos gemacht oder verschickt habe. Auch die abgebildeten Personen erkenne er nicht. Ob er sich die Bilder damals angeschaut habe? Schulterzucken. Weitere Fragen dazu werden nicht gestellt.

    Die NebenklageanwĂ€ltin fragt aber kritisch nach: Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand vor einem Festival ein vollstĂ€ndiges Handy-Backup erstellt bei einer Person, mit der man nicht befreundet sei? Außerdem gibt sie zu bedenken, dass die Bilder auch auf anderen Wegen auf die Festplatte von Jessica B. gelangt sein könnten. Sie fragt Raphael L. nach seinem Autokennzeichen und seiner Handynummer. Das Kennzeichen sei aus Bergheim, nicht Köln – mehr wolle er nicht sagen. Der Richter beendet die Befragung durch die NebenklageanwĂ€ltin und moniert ihre Fragen als „suggestiv“ – weil sie offen lĂ€sst, wie die Bilder auf die Festplatte von Jessica B. gelangt sein könnten.

    Ein weiterer Brandanschlag durch Daniel S.?

    Nach der Befragung von Raphael L. bringt die NebenklageanwĂ€ltin neue Informationen ein, die es in sich haben: Daniel S. soll mit einem marokkanischen StaatsbĂŒrger in eine tĂ€tliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein – gemeinsam mit zwei italienischen StaatsbĂŒrgern. Dieser lebte – wie Jessica B. zur damaligen Zeit auch – in der Normannenstraße in Wuppertal. Und genau dort kam es am 5. Januar 2022 zu einem Brandanschlag, dessen TĂ€ter bislang noch nicht von der Polizei ermittelt werden konnten. Die NebenklageanwĂ€ltin berichtet, dass Daniel S. unmittelbar nach der Tat diese Adresse im Internet gesucht haben soll. Sie fordert, den besagten marokkanischen StaatsbĂŒrger zum 11. Juni als Zeugen zu laden und die Ermittlungsakten zum Brandanschlag des 5. Januar 2022 in das aktuelle Verfahren einzubeziehen, um etwaige Parallelen bei Brandbeschleunigern zu prĂŒfen. Es bestehe ein dringender Verdacht, dass Daniel S. auch hinter dieser Tat stecken könnte.

    ZusĂ€tzlich fordert sie das Originaldokument, in dem Daniel S. ursprĂŒnglich eine rechtsextreme Gesinnung attestiert und wieder handschriftlich gestrichen wurde – aus welchen GrĂŒnden auch immer. Bislang liegt das Papier nur als Kopie vor. Der Richter betont, das Gericht sei hier nicht fĂŒr Ermittlungen gegen Beamte zustĂ€ndig


    Abschließend verlangt die NebenklageanwĂ€ltin erneut, Einsicht in die Jobcenter-Akten des Angeklagten zu erhalten. Es soll geklĂ€rt werden, auf welche Wohnungen Daniel S. Sozialleistungen bezog – denn Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben sich weiterhin auf die zunehmend unwahrscheinliche These festgelegt, dass sĂ€mtliche bei der Hausdurchsuchung gefundenen NS-Materialien dem Vater zuzuordnen seien. Die ausbleibende Reaktion des Richters darauf lĂ€sst damit rechnen, dass das Gericht kein Interesse daran hat, die Akten des Jobcenters aus eigenem Antrieb ermitteln wollen, was dafĂŒr spricht, sich weiterhin auf die These der Verteidigung von Daniel S. festzulegen.

    Die Sitzung vom 6. Juni wurde aufgehoben – in der Hoffnung, dass die Polizei bis zum 11. Juni alle gesicherten Daten auswertet. Die nĂ€chste planmĂ€ĂŸige Verhandlung ist fĂŒr den 11. Juni angesetzt, die ĂŒbernĂ€chste soll am 24. Juni folgen.

    Unser Kommentar zum bisherigen Prozessverlauf:

    Was sich hier abzeichnet, ist ein Justizverfahren, das mehr Fragen aufwirft als es beantwortet. Die Ermittlungen gegen einen mutmaßlich rechtsextremen Brandstifter verlaufen schleppend, Beweise verschwinden oder tauchen nur durch Eigeninitiative der Nebenklage auf. Die Staatsanwaltschaft und auch das Gericht scheinen weiterhin der Verteidigung des TĂ€ters zu folgen, wĂ€hrend berechtigte Zweifel an deren Hypothesen vom Richter nicht ernst genommen oder gar als “suggestiv” dargestellt werden.

    Wie kann es sein, dass in einem Verfahren mit einem so gravierendem Hintergrund derart schlampig gearbeitet wird? Und warum werden in FĂ€llen mit islamistischem oder linksradikalem Hintergrund regelmĂ€ĂŸig ganze Personennetzwerke durchleuchtet oder mit Blick auf die Budapest-Prozesse und die Letzte Generation sogar vermeintliche Terrorgruppen heraufbeschwört – wĂ€hrend man bei mutmaßlich rechtsextrem motivierten BrandanschlĂ€gen nur widerwillig ermittelt? Wem fĂŒhlt sich die Justiz in unserem Land verpflichtet – und wem nicht?

  • 12. Mai 2025: Sitzung 14

    FĂŒr den heutigen Verhandlungstag waren ursprĂŒnglich neue Erkenntnisse aus den vom Gericht angeordneten Nachermittlungen angekĂŒndigt worden. Diese Nachermittlungen waren auf massiven Druck der Nebenklagevertreterin Seda Baßay-Yıldız sowie aufgrund eklatanter MĂ€ngel in den bisherigen Ermittlungen nachtrĂ€glich veranlasst worden. Im Fokus standen u.a. die forensische Auswertung von Daniel S.’ Google- und YouTube-Konten, weiterer Internetportale – darunter auch Pornoseiten –, seiner 1,2 GB großen digitalen Cloud sowie der im April 2024 bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Festplatten. Baßay-Yıldız hatte auf einer davon 166 eindeutig rechtsextreme Bilddateien identifiziert.

    Doch gleich zu Beginn machte Richter Kötter klar: Die Auswertungen sind weiterhin nicht abgeschlossen. Zwar habe die Polizei erste Unterlagen ĂŒbermittelt – diese seien jedoch erst kurz vor Beginn der Sitzung bei der Kammer eingetroffen und konnten von dort lediglich digital an die Nebenklage weitergeleitet werden. Bis dahin hatten nicht alle Prozessbeteiligten Zugriff auf die neuen Informationen. Der Richter ergĂ€nzte, dass jener Polizeibeamte, der bereits am 12. April wegen seiner „Ermittlungen“ zum politischen Hintergrund des TĂ€ters vorgeladen war, nun auch gebeten worden sei, einzelne Bewertungen in den Nachermittlungen vorzunehmen. Außerdem sei zusĂ€tzliches Personal eingesetzt worden, das „mit Hochdruck“ an der weiteren Auswertung arbeite.

    Erste Ergebnisse: rechtsextreme Dateien auf Festplatte – neue Namen, offene Fragen

    Anders als bei frĂŒheren Verhandlungstagen lagen diesmal zumindest detailliertere Arbeitsvermerke der Polizeibeamt*innen vor. Alle polizeilichen Fotos seien inzwischen auf einen USB-Stick ĂŒbertragen und zur Akte genommen worden. Die Cloud-Auswertung laufe zwar noch, doch zur forensischen Untersuchung der Festplatte konnten erste Inhalte verlesen werden: 166 nationalsozialistische und extrem rechte Dateien sowie 23 weitere seien auf einer der beiden Festplatten gefunden worden.

    Einige der gezeigten Bilder sprechen eine erschreckend deutliche Sprache: darunter zutiefst rassistische Memes wie „Bepanthen Sieg- und Heilsalbe“, „Fakt ist, N**** sind nicht die Hellsten“ oder „Nachwuchs statt weitere Zuwanderung“. Die Dateien stammen laut Polizeiangaben aus dem Zeitraum 2017 bis 2019. Teile dieser Dateien wurden laut forensischem Vermerk in einer Datensicherung eines Windows-Betriebssystems gefunden, das auf die Partnerin des TĂ€ters, Jessica B., zurĂŒckgefĂŒhrt wurde. Weitere Dateien stammten aus einer Sicherung eines Android-Smartphones und konnten ĂŒber Bilder und Screenshots einem „Raphael L.“ zugeordnet werden.

    Baßay-Yıldız reagierte darauf mit UnverstĂ€ndnis: Es sei weder geklĂ€rt worden, wer Zugriff auf die Festplatten hatte, noch, welches VerhĂ€ltnis zwischen Raphael L. und dem TĂ€ter besteht. Jessica B. habe bei ihrer Vernehmung angegeben, die Bilder nie zuvor gesehen zu haben. Kötter gab bekannt, dass Raphael L. am 8. Mai 2025 von der Polizei vernommen worden sei. Das Protokoll solle im Laufe des Tages bei den Beteiligten eingehen. Eine Vorladung L.s zu einem der nĂ€chsten Prozesstermine sei möglich.

    Antrag auf Auswertung der Jobcenter-Akten – Staatsanwalt unterstellt Baßay-Yıldız „Meinungsmache“

    Wie bereits vor vier Wochen beantragten die Nebenklagevertreter Baßay-Yıldız und Radoslav Rodoslavov erneut die Auswertung der Jobcenter-Akten von Daniel S. Ziel ist es, herauszufinden, ob der TĂ€ter möglicherweise Gelder fĂŒr seine Wohnung oder andere RĂ€umlichkeiten beantragt hatte. Hintergrund: Die Wohnung, in der NS-BĂŒcher und andere rassistische Beweismittel gefunden worden waren, wird bislang offiziell dem Vater zugeordnet – und als „nicht bewohnt“ eingestuft – auch wenn dort unter anderem ein aktueller Kalender vorgefunden wurde. Und auf dieser Annahme, dass jegliche rechtsextreme Inhalte dem Vater des TĂ€ters oder weiteren Personen aus einem Umfeld zugeschrieben werden können – baut die gesamte Verteidigungsstrategie des TĂ€teranwalts auf.

    Nach der Antragsstellung meldet sich zum ersten Mal an diesem Tag der ermittlungsleitende Staatsanwalt zu Wort – und attackierte Baßay-Yıldız scharf. Sie betreibe „Meinungsmache“, sagte er, entgegen der „Faktenlage“, die keinerlei Hinweise auf eine politische Motivation des TĂ€ters erkennen lasse. Auch die Tat selbst gebe â€žĂŒberhaupt keine Indizien in irgendeine Richtung“ her, so der Staatsanwalt. Es wirkt, dass der Staatsanwalt voll und ganz auf der Linie des TĂ€teranwaltes liegt und seine Meinungsbildung bereits abgeschlossen hat.

    FrĂŒhzeitiger Verdacht von Rechtsextremismus – handschriftlich aus der Akte gestrichen

    Fast beilĂ€ufig erwĂ€hnt Richter Kötter gegen Ende der knapp 90-minĂŒtigen Sitzung ein weiteres bemerkenswertes Detail: Der Kammer liege ein Austausch mit der Polizei Hagen vor, in dem um „strafrechtliche Bewertung“ im Fall Daniel S. gebeten worden sei. Das Landeskriminalamt habe dabei sogar seine UnterstĂŒtzung im Bereich TerrorismusbekĂ€mpfung angeboten.

    Noch pikanter: Zu Beginn der Ermittlungen habe tatsĂ€chlich ein Verdacht auf eine rechtsextreme Motivation bestanden – festgehalten in einem Vermerk aus dem April 2024. In diesem sei die Tat explizit als „rechts motiviert“ eingestuft worden. Der Vermerk wurde spĂ€ter handschriftlich gestrichen – von wem und auf welcher Grundlage, ist weiterhin unklar. Die Folge: Der Verdacht auf ein politisches Motiv wurde aus der Akte entfernt, und eine entsprechende Einordnung unterblieb.

    Den Nebenklagevertreter*innen scheint dieser Vermerk zum Zeitpunkt der Sitzung noch nicht vorzuliegen – möglicherweise war er zu kurzfristig verschickt worden. Am Abend veröffentlichten sie eine Pressemitteilung, in der sie das Verfahren und die Salamitaktik der Ermittlungsbehörden als „Skandal“ bezeichnen:

  • 15. April 2025: Sitzung 13

    Am 13. Prozesstag stand die Durchsuchung des Wohnhauses des Angeklagten im Vordergrund: War die Wohnung, in der „Mein Kampf“ und BĂŒcher ĂŒber Adolf Hitler gefunden wurden, wirklich unbewohnt? Welche weiteren Beweise konnten der Wohnung entnommen werden? Und wie verlief die Durchsuchung?

    Zur KlĂ€rung dieser Punkte wurde der fĂŒr die beim TĂ€ter durchgefĂŒhrte Hausdurchsuchung des Zeitraums vom 8. bis 9. April 2024 zustĂ€ndige Beamte des KK11 (Tötungs-, Brand- und Waffendelikte) befragt. Dabei wurde deutlich, dass der im letzten Prozesstag erfragte Untersuchungsbericht knapp ein Jahr spĂ€ter auf Erinnerungsbasis nachtrĂ€glich von seiner Kollegin angefertigt werden musste, da der zustĂ€ndige Beamte ihn nach der Hausdurchsuchung lediglich „gedanklich erledigt“ hatte.

    Im Wohnhaus des Angeklagten befand sich im zweiten Obergeschoss eine separate Wohnung, die jedoch nicht ĂŒber eine eigene EingangstĂŒr verfĂŒgte und die vom Beamten als altmodisch und verlassen beschrieben wurde. In der dortigen KĂŒche befanden sich neben „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, NSDAP-Materialien und ein Buch ĂŒber Herman Göring und dessen Ehefrau. Im Unterschied zu den restlichen Bildern der Wohnung fertigte der vorgeladene Beamte diese mit seinem Handy an und schickte sie dem Staatsschutz, der den Fotomaterialien mit dem NS-Bezug keine strafrechtliche Relevanz zuschrieb – unter anderem auch, weil die Wohnung dem Vater zugeschrieben wurde. Dies beruht auf einer Aussage der Freundin des Angeklagten, die ohne weiteres Hinterfragen von Seiten des Staatsschutzes ĂŒbernommen wurde.

    „Die Wohnung wirkte so, als dort durchaus fĂŒnf Jahre niemand gewohnt haben könnte“, rechtfertigte sich der befragte Beamte. Jedoch besaß der angeklagte Daniel S. einen SchlĂŒssel zu der Wohnung, in der auch ein Kalender aus dem Jahre 2024 und ein frisch bezogenes Bett vorgefunden wurden. Auf Nachfrage des Richters, ob dort der Bruder des Angeklagten genĂ€chtigt haben könnte, gab der befragte Beamte an, dass er dies nicht ausschließen, aber auch nicht bestĂ€tigen könne.

    Die Nachfragen der Nebenklagevertreterin Baßay-Yıldız ergaben, dass der Beamte weder weiß, wie die Wohnung bezahlt wird, noch, wer der Vermieter dieser ist. Hierzu wurden auch keine Untersuchungen betrieben. Ebenso wenig wurden an der Zigarettenbox DNA-Spuren gesichert – der Beamte zog keinerlei Verbindung zwischen den Tabakdosen in der Wohnung, den gleichen Marken im Keller (die dort mit Brandbeschleunigern und explosivem Material befĂŒllt waren) und den am Tatort aufgefundenen Dosen – obwohl der Brandsatz aus einer solchen gebaut wurde. Auf Nachfrage eines weiteren Nebenklageanwalts rĂ€umte er jedoch ein, dass ein Zusammenhang naheliegend erscheine.

    Es bleibt offen, welche Auswirkungen die neu erlangten Informationen ĂŒber die unzureichende Untersuchung fĂŒr den weiteren Prozess haben werden. 

    Der nÀchste Prozesstermin im Landgericht Wuppertal ist am 12.05.2025 um 09:15 Uhr.